Zum Leben zu wenig

Hartz IV zum 75. Mal geändert

Foto: Wilhelmine Wulff/pixelio.de
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Das sogenannte Rechtsvereinfachungsgesetz, von vielen Betroffenen auch „Rechtsverschärfungsgesetz“ genannt, ist durch. Die Bestimmungen für Hartz IV werden wieder einmal geändert – zum 75. Mal, hat Harald Thomé, Experte für Arbeitslosen- und Sozialhilferecht, festgestellt.
Etliche Vorschläge für die Neuregelungen hatten Bund und Länder gemeinsam auf den Weg gebracht. Einige seien hier vorgestellt.

Als kleine Schritte der Rechtsvereinfachung im Sinne der Bedürftigen sind zu erkennen:

– Hartz-IV-Bezieher haben ausdrücklich einen Beratungsanspruch zur Berechnung des Alg II (Arbeitslosengeld II) und zur Auswahl von Eingliederungsleistungen.
– Für Leistungsbezieher ohne Berufsabschluss sind bei der Eingliederung insbesondere die Möglichkeiten zur Vermittlung in eine Ausbildung zu nutzen.
– Wer eine Ausbildung aufnimmt, kann Alg II weiter erhalten, bis der Antrag auf Ausbildungsförderung abschließend bearbeitet ist. Bislang ging das nur einen Monat lang.
– Wer nach dem 30. Lebensjahr eine Abendschulausbildung aufnimmt und wegen des höheren Alters kein Bafög bekommt, kann Alg II erhalten.
– Eine weitere Regelung betrifft Auszubildende, denen ihr Bafög-Antrag abgelehnt wird, weil sie zu alt sind. Wenn sie deshalb die Ausbildung abbrechen müssten, auf diese aber zur beruflichen Eingliederung zwingend angewiesen sind, können sie „im besonderen Einzelfall“ Alg II als Zuschuss erhalten. Es bleibt abzuwarten, wie viele besondere Einzelfälle davon profitieren werden.
– Auch wenn nach einer geförderten Arbeitsaufnahme die Bedürftigkeit wegfällt, darf das Jobcenter künftig einen Zuschuss zur Förderung der Eingliederung weiterzahlen.
– Wer Arbeitslosengeld I von der Arbeitsagentur und aufstockend Alg II vom Jobcenter erhält, für die bezahlt künftig einheitlich die Arbeitsagentur die Arbeitsförderung.

Ansonsten wird weiter verschärfend am Sonderrecht für Bedürftige gearbeitet:

– Wenn das geltende Sozialrecht zum Nachteil der Bedürftigen nicht richtig angewendet wird oder das Jobcenter von falschen Tatsachen ausgeht, kann üblicherweise vier Jahre rückwirkend ein neuer Bescheid gefordert werden. Nachzahlungen im Hartz-IV-Bezug gibt es aber nur ein Jahr lang, selbst diese Regelung wurde weiter eingeschränkt.
– Die Anrechnung von Einkommen verschlechtert sich an verschiedenen Stellen, etwa bei unregelmäßiger Lohnzahlung, zum Nachteil der Leistungsberechtigten.
– Wer eine alternative Sozialleistung nicht beantragt, kann mit dem Entzug von Alg II bestraft werden (Beispiele: Elterngeld, Kindergeld).
– Menschen mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen sollen über Kürzungen zur Teilnahme an einem Deutschkurs gezwungen werden.
– Wer sich nicht ausreichend darum bemüht, die Hartz IV-Bedürftigkeit zu senken, kann zur Rückzahlung verpflichtet werden. Was ausreichende Bemühungen sind, ist nicht konkret geregelt, das öffnet der Willkür Tür und Tor.
– Dazu gibt es eine Vielzahl von Nickeligkeiten bei der Anrechnung von Einkommen, bei der Streichung von Leistungen und bei der Berücksichtigung von Bedarfen.

Die ursprünglichen Absichten, die harte Kürzungspraxis gegenüber jungen Erwachsenen zu erleichtern, werden nicht umgesetzt: Statt die Abschreckungs- und Ausschlussmaßnahmen zurückzunehmen, wird eine „Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“ eingeführt. Das Prinzip Druck und Zwang (das bekannte „Fördern und Fordern“) wird fortgeführt und forciert. So wird die Liste der Sanktionen und Kürzungsandrohungen länger und länger.

Außer einer längeren Laufzeit für Ein-Euro-Jobs gibt es bei der Arbeitsförderung keine Verbesserung. Dafür werden die Alg-II-Zahlungen häufiger angerechnet und gekürzt.
Der sozialrechtliche Berater Bernd Eckhardt beschreibt seinen Gesamteindruck so: „Der Gesetzentwurf atmet fast überall den Geist der Krämerseele“.

von Arnold Voskamp

Arnold Voskamp
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