Arbeit und Soziales aus dem Magazin

Eine Arbeitsstelle reicht oft nicht (mehr)

Aus der Sperre Frühjahr 2020
Überwiegend finanzielle Gründe sind für den Trend zu ein oder mehr Nebenjobs verantwortlich

Immer mehr Menschen in Deutschland gehen nicht nur einer beruflichen Hauptbeschäftigung nach, sondern arbeiten zusätzlich in einem oder mehreren Nebenjobs. Der Trend dazu ist ungebrochen. Über die Hälfte der Betroffenen sieht sich aus finanziellen Gründen dazu gezwungen, zusätzliche Jobs anzunehmen, weil sonst das Geld für den Alltag nicht reicht.
3.538.000 Mehrfachjobber hat die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in Nürnberg Mitte 2019 gezählt. Damit ist die Zahl der Menschen mit Zusatzbeschäftigung weiter angestiegen. Auf fast sieben Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und 49 Jahren trifft das inzwischen zu. Das geht aus einer Antwort der Bundesagentur auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag hervor.
Dieser Trend betrifft nicht allein die Erwerbsarbeit in der privaten Wirtschaft, sondern etwa auch Angestellte und Beamte im öffentlichen Dienst. Vor allem in den Ballungszentren müssen Polizisten und Feuerwehrleute einen Nebenjob annehmen, um die steigenden Mieten zu zahlen. Und selbst unter Landwirten gibt es mehr und mehr solche, die aufgrund des Produktionsdrucks einen Nebenjob brauchen, um über die Runden zu kommen.
Mehr als doppelt so viele Nebenjobber innerhalb von 14 Jahren
Allein die Entwicklung in den denn beiden Jahren vor 2019 ist aufschlussreich: 2017 betrug die Zahl der Mehrfachjobber noch 3,3 Millionen. Mitte 2018 führte die entsprechende Statistik 123.600 Personen weniger als 2019, was einen Anstieg von 3,26 Prozent binnen Jahresfrist bedeutet. Für den Zweijahreszeitraum liegt er sogar bei über 7 Prozent. Doch diese Zahlen sind Teil eines langjährigen Trends: So haben sich in dem Zeitraum von 2003 bis 2017 gemäß den Berechnungen des BA-Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Zahl der Menschen mit einem Haupt- und mindestens einem Nebenjob mehr als verdoppelt.
Neben ihrem regulären Job gingen den Daten zufolge beinahe drei Millionen Berufstätige zusätzlich einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis nach, hauptsächlich im Dienstleistungsbereich. Der überwiegenden Mehrheit kommt es darauf an, in dem Hauptjob nicht nur den Großteil des Erwerbseinkommens zu erzielen, sondern vor allem sozialversichert zu sein. In zwei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen arbeiteten demnach über 345.400 Menschen. Auf Platz drei der „Beliebtheitsskala“ stand die Kombination von zwei oder mehr Minijobs; das traf auf annähernd 260.700 Personen zu. Weitere Ergebnisse der IAB-Studie: 46 Prozent der Minijobber arbeitet auf Abruf und zu fast 90 Prozent ohne betriebliche Interessenvertretung.
Soziale Absicherung im Hauptberuf steht im Vordergrund
Die Entscheidung für einen Nebenjob kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Was bewegt zunehmend mehr Menschen, in einem Minijob für eine geringe Bezahlung – oft genug nicht mehr als den gesetzlichen Mindestlohn – zu arbeiten? Ist es die finanzielle Not, die sie dazu treibt? Oder lockt der wenn auch geringe Zuverdienst, um sich das ein oder andere zusätzlich leisten zu können? Oder sind es die sozialen Kontakte zu neuen Arbeitskollegen und -innen, die die alten nach der Verrentung ersetzen sollen?
Einige Antworten darauf gibt eine Studie der Hanns-Böckler-Stiftung, die dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) nahesteht, von März 2019. Demnach ist für zwei Drittel der befragten Mehrfachbeschäftigten das lukrative Zusatzeinkommen „wichtig“ oder „sehr wichtig“. Mehr als 50 Prozent nennen dafür sogar „finanzielle Not“ oder „finanzielle Schwierigkeiten“ als entscheidendes Motiv. Fast jede(r) Vierte(r) hat nach eigenen Angaben keine Vollzeitstelle gefunden und aus finanziellen Gründen einen Minijob draufgesattelt. Laut IAB-Report verdienen Nebenjobber in ihrer Hauptbeschäftigung durchschnittlich 570 Euro pro Person weniger als Berufstätige mit nur einem Job. Das Fazit der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, gegenüber der Presseagentur dpa fällt daher eindeutig aus: „Für immer mehr Beschäftigte reicht das Einkommen aus einem Job nicht mehr aus.“
Natürlich haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen noch andere Gründe, einen Minijob anzunehmen. Etwa um sich im Nebenjob weiterzubilden oder in einer anderen Branche auszuprobieren. Dafür spricht auch der hohe Anteil der Selbstständigkeit, meist gekoppelt an einen höheren Bildungsabschluss, in der ausgeübten Nebentätigkeit. So ist der Bereich Kreatives und Lifestyle mit 18 Prozent der zweithäufigste Tätigkeitsbereich, in dem viele Minijobber selbstständig arbeiten. Den größten Bereich mit 39 Prozent bilden jedoch mit Abstand einfache, meist ungelernte Arbeiten. Bei den Hauptjobs sind es lediglich 15 Prozent.
Deutschland hat europaweit den größten Niedriglohnsektor
Die Minijobs sind ein Teil eines bedeutenden Beschäftigungsbereiches, des Niedriglohnsektors. Dieser ist in Deutschland – politisch so gewollt – seit der Jahrhundertwende der größte in Europa geworden. Die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur von 2018 weist 7,9 Millionen geringfügige Beschäftigungen aus. Davon sind:
2,88 Millionen geringfügige Beschäftigungen im Nebenjob und
5,01 Millionen ausschließlich geringfügige Beschäftigungen.
Das Ausmaß an Minijobs ist auch durch die schwache Entwicklung der Löhne zu erklären, die seit über zwanzig Jahren kaum erhöht wurden. Ein steuer- und abgabenbefreiter Aushilfsjob wirkt da besonders attraktiv. Kein Wunder, dass sich auch Arbeitgeber über diese staatlich begünstigten Beschäftigungsverhältnisse freuen und das Angebot an Minijobs im Laufe der Jahre stetig ausgeweitet haben.
Um diese Entwicklung zu stoppen, muss die Begünstigung der Minijobs eingeschränkt oder aufgegeben werden. Über sie fließen keine Beiträge in die Sozialversicherungen, auch so gut wie keine in die Rentenkassen. Sie tragen somit nichts zur Alterssicherung bei. Außerdem bieten sie in der Regel keine langfristigen Perspektiven, zum Beispiel bei der Weiterbildung oder der Integration in den Arbeitsmarkt. Daher müssen Minijobs in sozialversicherungspflichtige und existenzsichernde Beschäftigung übergehen. Damit dies auch mit einem niedrigen Verdienst möglich wird, der nicht zu Altersarmut führt, haben der DGB und die Linke unlängst gefordert, den Mindestlohn auf 13 Euro zu erhöhen.

IM KASTEN:
Das Gros der Nebenjobs besteht aus „geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnissen“, wie es im Amtsdeutsch heißt, aus sogenannten Minijobs. Deren häufigste Form ist der 450-Euro-Job. Er heißt so, weil er seit Anfang 2013 mit maximal 450 Euro entlohnt wird (vorher mit höchstens 400 Euro) und sich landläufig diese Bezeichnung durchgesetzt hat. Der Minijobber bzw. die Minijobberin muss zwar keine Einkommensteuer zahlen und keine Beiträge in die Arbeits-, Kranken- und Pflegeversicherung einzahlen, doch besteht Rentenversicherungspflicht. Davon kann er oder sie sich aber befreien lassen. (Wer sich von dieser Pflicht befreien lassen will und damit auf den Rentenanspruch verzichtet, sollte sich vorher über die rentenrechtlichen Folgen beraten lassen, etwa bei der Deutschen Rentenversicherung).
Die Anzahl der Arbeitsstunden und die Häufigkeit des Einsatzes sind beim 450-Euro-Job nicht festgelegt, im Unterschied zum kurzfristigen Minijob. Hierbei ist die Einsatzdauer auf drei Monate im Kalenderjahr oder insgesamt 70 Tage begrenzt. Allerdings spielt in diesem Fall die Höhe des Verdienstes keine Rolle.