Arbeit und Soziales

Die distanzierte Mitte

Eine Studie kommt zu dem Ergebnis: Der Anteil der Deutschen, der sich klar zur Demokratie bekennt, schwindet – auch in bürgerlichen Schichten

Gastbeitrag von Lena Dhaliwal*

Rechtsextreme Positionen haben in Deutschland stark zugenommen und sind weiter in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Das besagt die Mitte-Studie 2022/2023 der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Unter dem Titel „Die distanzierte Mitte“ hat die Forschungsgruppe unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Zick vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld diese Studienergebnisse im September 2023 veröffentlicht.
„Ein Teil der Mitte distanziert sich von der Demokratie, ein Teil radikalisiert sich.“ (Mitte-Studie 2022/23)
In der Erhebung geben 15,5 Prozent der Menschen an, „rechts“ oder „eher rechts“ der Mitte zu stehen gegenüber zehn Prozent aus den Vorjahren. Hinzu kommen 20 Prozent der Bevölkerung, die sich einem „Graubereich“ zuordnen, kein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben, aber auch nicht klar demokratisch orientiert sind. Sechs Prozent der Menschen befürworten eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer für Deutschland. Das Vertrauen in die Institutionen und in das Funktionieren der Demokratie sinkt auf unter 60 Prozent. Ein erheblicher Teil der Befragten vertritt verschwörungstheoretische (38 Prozent), populistische (33 Prozent) und völkisch-autoritärrebellische (29 Prozent) Positionen. Rund ein Drittel der Befragten (34 Prozent) ist der Meinung, Geflüchtete kämen nur nach Deutschland, um das Sozialsystem auszunutzen. Ein Teil der Mitte fordert autoritäre Lösungen und läuft Gefahr, sich von der Demokratie zu distanzieren. Die Mitte-Studie liefert als Erklärungsansatz die multiple Krisenlage, die als verunsichernd erlebt wird und den immer aggressiver auftretenden Populismus, der das Gefühl von Bedrohung für die Menschen noch verstärkt. Über die Hälfte der Befragten sieht Deutschland stark von Krisen betroffen (55 Prozent) und ein großer Teil fühlt sich angesichts der multiplen Krisen unsicher (42 Prozent).

Reaktion auf das durch mehrere Krisen hervorgerufene Bedrohungsgefühl

„Die Folgen der Corona-Pandemie sind noch nicht überwunden, die Klimakrise ist in vollem Gange und seit Februar 2022 bringt die russische Invasion in der Ukraine weitere Unsicherheiten und Ängste in Bezug auf Energiesicherheit oder Preissteigerungen. Diese multiplen Krisen können solidarisch und gemeinschaftlich bearbeitet werden oder ab- und ausgrenzend. Das Ringen um den richtigen Weg – wie auch schon in den Corona-Jahren – führt allerdings bei manchen Menschen zu einer Distanzierung von demokratischen Werten, Prozessen und scheinbar unverrückbaren Verabredungen […].“ Studienleiter Zick betont: „Gerade in Krisenzeiten, in denen die Ungewissheit auch zur Frage nach der Funktionsfähigkeit der Demokratie überkommen kann, kommt es auf eine Mitte an, die die Demokratie nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern in ihren Grundwerten stärkt. Dass nun vor allem die nächste Mitte-Generation durch stärkere rechte und menschenfeindliche Zustimmungen auffällt, lässt an einer langfristigen Stabilität der liberalen Demokratie zweifeln.“
Diese Ergebnisse sind nicht nur erschreckend, sondern gebieten konsequentes Handeln – von der Politik, aber auch aus der Gesellschaft selbst. Die demokratische Mitte muss sich klar von menschenfeindlichen Einstellungen distanzieren.

* Gastautorin Lena Dhaliwal ist in der Beratungsstelle Arbeit der Arbeitslosenberatung im cuba tätig. Sie hat in Bielefeld bei Prof. Andreas Zick studiert.