Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) hat eine neue Schätzung zur Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vorgelegt: Im Laufe des Jahres 2017 waren demnach ca. 650.000 Menschen (Jahresgesamtzahl) in Deutschland ohne Wohnung. Nach Schätzung der BAG W sei von einer Steigerung um 15 bis 20 Prozent von 2016 auf 2017 auszugehen, erklärte die Geschäftsführerin Werena Rosenke in Berlin.
Die Schätzzahl für 2017 ist damit zwar deutlich niedriger als die im November 2017 veröffentlichte Schätzzahl für das Jahr 2016: Sie weicht in der Gesamtzahl mit einem Minus von 210.000 um 24,5 Prozent von der letzten Schätzung der BAG W nach unten ab. Werena Rosenke stellte aber klar: „Dies entspricht nicht einem tatsächlichen Rückgang der Wohnungslosenzahlen in Deutschland, sondern ist ausschließlich dem deutlich verbesserten neuem Schätzmodell zuzuschreiben“.
Im Jahr 2017 betrug demnach die Zahl der wohnungslosen Menschen ohne Einbezug anerkannter Geflüchteter, die wohnungslos sind, gut 275.000. Die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten schätzt die BAG W auf ca. 375.000 Menschen. Seit dem Jahr 2016 schließt die BAG W in ihre Schätzung die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten mit ein.
Struktur der Wohnungslosigkeit
Die Strukturdaten über Wohnungslosigkeit in Deutschland können nur für die Gruppe der Wohnungslosen angegeben werden, die nicht einen Geflüchtetenstatus haben, da für letztere keine entsprechenden soziodemografischen Daten verfügbar seien, so die BAG W:
Demnach leben ca. 48.000 Menschen ohne jegliche Unterkunft auf der Straße. Die anderen leben zumeist in Wohnungslosenheimen.
Ca. 193.000 (70 Prozent) der wohnungslosen Menschen sind alleinstehend, 82.000 (30 Prozent) leben mit Partner*innen und/oder Kindern zusammen. Die BAG W schätzt die Zahl der wohnungslosen Kinder und minderjährigen Jugendlichen auf 8 Prozent (22.000), die der Erwachsenen auf 92 Prozent (253.000). Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 73 Prozent (185.000); der Frauenanteil liegt bei 27 Prozent (68.000).
Ca. 15 Prozent (40.000) der Wohnungslosen sind nicht-deutsche EU-Bürger*innen. Viele dieser Menschen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Vor allem in den Metropolen beträgt ihr Anteil an den Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße bis zu ca. 50 Prozent. Die „Straßenobdachlosigkeit“ ist stark durch die EU-Binnenzuwanderung geprägt; dies trifft für die Wohnungslosigkeit insgesamt nicht zu.
Armut und Wohnungsnot
Hauptgründe für die steigende Zahl der Wohnungslosen sind für die BAG W das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut.
Es fehlt insbesondere an bezahlbarem Wohnraum für die steigende Zahl von Menschen im Niedrigeinkommensbereich und für die Menschen, die Transferleistungen beziehen, kritisiert die BAG W. Die Armutsrisikoquote ist bei Mieter*innen deutlich gestiegen und betrug im Jahr 2015 knapp 29 Prozent, insb. betroffen sind junge Erwachsene bis 35 Jahren (DIW 2018).
Darüber hinaus fehlen mindestens zwölf Millionen Kleinwohnungen. Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (17,2 Millionen) steht im Jahr 2017 nur ein Angebot von 5,2 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenüber. Benötigt werden pro Jahr 80.000 bis 100.000 neue Sozialwohnungen und weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen, fordert die BAG W.
Die Bundesregierung hatte sich das Ziel von 375.000 neuen Wohnungen pro Jahr gesetzt. Neu gebaut wurden im Jahr 2018 aber nur 285.000 Wohnungen, darunter lediglich 27.000 Sozialwohnungen. „Damit wird nicht einmal der Teil der Wohnungen, der aus der Sozialbindung fällt, ausgeglichen“, so die BAG W.
Die Forderungen der BAG W
Bezahlbarer Wohnraum ist die Grundvoraussetzung zur Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger mit einer eigenen Wohnung – einschließlich der wohnungslosen Menschen, so die BAG W.
Eine „Neue Gemeinnützigkeit“ gefordert
Die Beteiligung des Bundes an der sozialen Wohnraumförderung müsse deshalb dauerhaft erhalten bleiben und deutlich gesteigert werden. Um bezahlbaren Wohnraum dauerhaft zur Verfügung stellen zu können, sei ein gemeinnütziger Wohnungsbausektor ein wichtiges Instrument. Der Bund muss den Rahmen und die Instrumente für eine „Neue Gemeinnützigkeit“ bei der Wohnraumversorgung schaffen.
Prävention von Wohnungsverlusten das beste Mittel / Quotierung für Wohnungslose bei sozial gebundenen Wohnungen
Die Verhinderung von Wohnungsverlusten ist die beste Hilfe. Die Entscheidung für ein funktionsfähiges System der Prävention von Wohnungsverlusten ist eine politische Entscheidung jeder einzelnen Kommune und jedes einzelnen Landkreises. Zentrale Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten fehlen leider noch in vielen Kommunen, kritisiert die BAG W.
Wohnungslose Menschen sind häufig stigmatisiert und ausgegrenzt, negative SCHUFA-Einträge machen es für wohnungslose Menschen nahezu unmöglich, wieder die Chance auf eine eigene Wohnung zu erhalten.
Fazit
Werena Rosenke fordert deshalb: „Bezahlbarer Wohnraum ist zwar die Voraussetzung zur Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger mit einer eigenen Wohnung, aber nicht ausreichend, um tatsächlich Menschen in einer Wohnungsnotfallsituation den Zugang zu Wohnraum zu ermöglichen. Neben dem Bau bzw. der Sicherung bezahlbaren Wohnraums muss Wohnraum ausdrücklich auch bereits wohnungslosen Menschen zugänglich werden. Wir fordern deshalb Maßnahmen, die sicherstellen, dass wohnungslose Haushalte mit eigenen Wohnungen versorgt werden können. Maßnahmen können sein: Bindungen für vordringlich Wohnungssuchende, Quotierung bei der Vergabe von Belegungsrechten, d.h. ein bestimmter Anteil sozial gebundener Wohnungen sollte explizit für wohnungslose Haushalte zur Verfügung stehen.
Kommunen sollten Anreize schaffen, um Wohnungen für Wohnungslose bei den Unternehmen der Wohnungswirtschaft, aber auch bei privaten Vermietern zu akquirieren.
Ohne Wohnungen für Wohnungslose und ohne ein systematisches Präventionssystem in jeder Kommune, werden sich Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit nicht bekämpfen lassen.“ (jgn)
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