Zum Leben zu wenig

Mindestlohn verringert Zahl der Aufstocker

Der Fall machte landesweit Schlagzeilen: Ein Pizzaservice aus Stralsund bezahlte seinen Boten sittenwidrige 1,32 Euro die Stunde und forderte die Arbeitnehmer auf, sich den Rest, den sie zum Leben brauchten, beim Jobcenter und über Trinkgelder zu holen. Der Anfang des Jahres eingeführte Mindestlohn von 8,50 Euro unterbindet solche Praktiken zwar nicht völlig, aber macht zumindest das Funktionieren schwerer. Die positive Folge: Die Zahl der Hartz-4-Aufstocker ist um 45.000 gesunken. Das hat das Arbeitsministerium auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag mitgeteilt, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Trotzdem sind immer noch 1,2 Millionen Menschen auf einen staatlichen Zuschuss angewiesen, obwohl sie arbeiten.

Foto: Siegfried Fries/pixelio.de
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Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, dass die öffentlichen Haushalte durch die geringere Zahl der Aufstocker um 700 bis 900 Millionen Euro im Jahr weniger belastet werden. Das IAB gehört zur Bundesagentur für Arbeit. Eine Sprecherin der Bundesagentur schränkte allerdings ein, dass ein Rückgang der Aufstocker im Frühling in einem gewissen Umfang normal sei, weil in einigen Branchen eine hohe Winterarbeitslosigkeit herrsche und die Arbeitnehmer dann Hartz 4 in Anspruch nähmen. Der Rückgang sei aber diesmal höher, was darauf hindeute, „dass dies mit der Einführung des Mindestlohns zusammenhängt“, zitiert die Süddeutsche Zeitung die Bundesagentur. Wie viele Arbeitnehmer ihren Job seit Anfang des Jahres verloren haben, weil ihr Chef keine 8,50 Euro zahlen will, ist indes nicht bekannt.

Wie bereits vor der Einführung des Mindestlohns malen auch jetzt wieder vor allem Wirtschaftsinstitute, die der Industrie nahestehen, den Teufel an die Wand. Nach Ansicht des Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung könne eine Kombination aus einer sich irgendwann wieder abkühlenden Konjunktur und einem steigenden Mindestlohn sehr gefährlich werden, so die Süddeutsche. „Dann würden die Kosten der Arbeit steigen, und die Firmen hätten gleichzeitig weniger Nachfrage“, fürchtet das Institut laut Süddeutsche Zeitung. Der Bedarf an Arbeitskräften würde sinken. „Und wenn diese gleichzeitig noch teurer werden, ist die Gefahr von Entlassungen sehr hoch“, so die Ökonomen. Das Rheinisch-Westfälische Institut mit Sitz in Essen hatte allerdings in einem anderem Gutachten auch schon behauptet, die momentan sehr hohen Stromkosten würden durch den Ökostrom erzeugt. Das Politmagazin Monitor konnte diesen Zusammenhang widerlegen.

Foto: Initiative-Echte-Soziale-Marktwirtschaft-IESM/pixelio.de
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Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle sagt in der Süddeutschen Zeitung eine allgemeine Steigerung der Lohnkosten voraus: „Alle, die vorher 9,50 Euro verdient haben, wollen auch mehr verdienen, um den Abstand wieder herzustellen.“ Eine Schreckensszenario, das die Wirtschaft immer zeichnet, wenn Arbeitnehmer ihre Interessen wahrnehmen und ein größeres Stück vom Konjunkturkuchen abhaben wollen. Dabei geht der Mindestlohn nach Ansicht der Opposition im Bundestag an den erwerbstätigen Hartz-4-Aufstockern weitgehend vorbei. Selbst die 8,50 Euro reichten nicht, um eine Familie davon zu ernähren. Der Mindestlohn sei zwar richtig, aber im Moment noch kein Mittel zur Armutsbekämpfung.