Warum es Sinn macht, über Sinn und Unsinn von Arbeit nachzudenken
Arbeit an sich wird selten in Frage gestellt. Jede*r muss schließlich arbeiten. Erst damit scheinen wir heute eine Daseinsberechtigung zu haben. Eine Gruppe von Menschen bricht das Tabu und hinterfragt Sinn und Zweck von Arbeit und Karriere. Ein Einblick in das Haus Bartleby – Zentrum für Karriereverweigerung.
Von Lisa Liesner
Vor einigen Jahren kam ich zurück nach Münster. Mit mir mein damals einjähriges Kind. Ich suchte Kontakte, traf alte Freunde und begegnete neuen Menschen. Und immer wieder kam die Frage: Und, was machst du so? Nach meiner Antwort dann oft die Frage: Wie? Ist dein Kind noch nicht betreut?
Mich beschlich ein Gefühl von Minderwertigkeit. Auch wenn ich mich sehr bewusst für die Betreuung meines Kindes entschieden hatte. Denn was uns als Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Frau verkauft wurde, geschieht eigentlich aufgrund ökonomischer Interessen: Die Eltern sollen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, die Kinder auf die Leistungsgesellschaft vorbereitet werden.
Mit der Zeit übte ich, mit solchen Smalltalk-Fragen umzugehen. Eine durchaus spannende Erfahrung, wenn man die Reaktionen des Gegenübers beobachtet. Irgendwann ging ich offen mit meiner Erwerbslosigkeit um und fand Gleichgesinnte. Und irgendwann kam auch die Zeit der Bewerbungen. Da gab es durchaus spannende Jobangebote. Aber auch vieles, bei dem ich mich frage: Welchen Sinn macht das? Ich wollte meinem Unbehagen auf den Grund gehen. Dabei stieß ich auf das Haus Bartleby.
Für wen arbeiten wir?
Das Haus Bartleby – Zentrum für Karriereverweigerung war zu Beginn 2014 ein virtueller Ort im Internet, eine Plattform für Diskussionen gegen das antrainierte Verständnis von Arbeit und Karriere. Menschen tauschten sich über Dinge aus wie: „Für wen arbeiten wir?“, „Warum ist Arbeit so positiv besetzt?“. Sie wollten den überall vorherrschenden Leistungsdruck nicht fraglos hinnehmen. Seit 2015 gibt es auch ein kleines Ladenbüro in Berlin-Neukölln, wo ein gutes Dutzend Leute aktiv sind. Nicht nur Akademiker*innen, wie sie betonen. Die Sprache und Themen dürften manche dennoch abschrecken. Und eine Karriereverweigerung ungleich schwerer sein.
Die Karriereverweigerer sind aber durchaus keine Arbeitsverweigerer, wie ihre Aktivitäten zeigen: 2015 organisierten sie eine Reihe von Gesprächen mit Expert*innen aus Wissenschaft, Arbeit und Entertainment. Themen waren zum Beispiel die protestantische Arbeitsethik, Depressionen und Hartz IV.
Im gleichen Jahr gaben sie die Anthologie „SAG ALLES AB! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik“ heraus. Darin finden Leser*innen neben wissenschaftlichen Texten auch Erfahrungen eines Jobcenter-Mitarbeiters sowie Gedanken um Bildung, ums Schlafen oder die Liebe. Auch stolpert man über chaotische Comics und Songtexte von Deichkind und Tapete.
2016 folgte dann das Kapitalismustribunal. Der fingierte Schauprozess in einem Wiener Theater wollte die Verbrechen des europäischen Kapitalismus in einem fairen Prozess aufklären. Jeder Mensch konnte zuvor Anklage erheben, sei es wegen mieser Arbeitsbedingungen oder den desaströsen ökologischen Folgen. Videos davon gibt es im Netz (s.u.).
Das Haus Bartleby hat keinen Masterplan. Doch es stellt Fragen, gibt Impulse, zeigt aber auch Widersprüche auf. Und spitzt bisweilen zu. Das ist durchaus gewollt. Die Aktiven möchten als „Störfaktor in den Strukturen agieren“, wie Gründerin Alix Faßmann 2014 in der WDR-Westart erklärte. Der befreiende Akt der Verweigerung sei nötig, um gedanklichen Freiraum zu haben.
Raus aus dem Hamsterrad
Das kann gut funktionieren. Das Gefühl des Unbehagens bei prekärer digitaler Fließbandarbeit schwindet. Ebenso das Gefühl der Unzulänglichkeit bei Erwerbslosigkeit. Das „Mach was aus dir!“ dröhnt leiser in meinem Kopf. Denn eigentlich ist schon lange klar, dass es durch die Automatisierung immer weniger Arbeit für die Menschen gibt. Und dennoch klammern sich viele an die Arbeit als Statussymbol, obwohl das Leben sehr viel mehr zu bieten hat und jeder Mensch an sich einen Wert hat.
Ebenso ist klar, dass vieles produziert wird, um Profit abzuwerfen (und für wen?). Wir wissen auch, dass wir durch diesen Wachstumswahn den Karren an die Wand fahren werden. Die Natur wird ausgebeutet, die Menschen werden zermürbt. Und trotzdem machen wir weiter. Das Haus Bartleby gibt die Möglichkeit – zumindest gedanklich –, aus diesem Hamsterrad auszusteigen und Dinge zu hinterfragen. So wie Gründer Patrick Spät 2015 im Interview mit Intro: „Warum geht es nicht vordergründig um die Bedürfnisse der Menschen? Und danach richten wir zum Beispiel unsere Produktion aus oder notwenige Arbeiten? Das wäre eine vernünftige Umgangsform, die den menschlichen Grundbedürfnissen entspricht.“
Ja, warum eigentlich nicht?
Zum Lesen:
• Haus Bartleby (Hg.): Sag alles ab! Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik. Edition Nautilus 2016.
• Patrick Spät: Und, was machst du so? Fröhliche Streitschrift gegen den Arbeitsfetisch. Rotpunktverlag 2014.
• Alix Faßmann: Arbeit ist nicht unser Leben. Anleitung zur Karriereverweigerung. Lübbe 2014.
Weitere Infos online:
http://hausbartleby.org/
https://vimeo.com/channels/capitalismtribunal (Videos)
http://capitalismtribunal.org/de
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