Zum Leben zu wenig

„Alternative Fakten“ zur Arbeitslosigkeit

Eine wichtige Zahl geht zum Monatsanfang immer durch die Presse: die Arbeitslosenzahl. Die Zahl ist interpretationsfähig, wie die folgende Tabelle zeigt.

Die erste Spalte gibt die Anzahl aus dem Leistungsbezug von Arbeitslosengeld (Alg, Alg I) oder Arbeitslosengeld II (Alg II bzw. Hartz IV) wieder, die zweite Spalte listet auf, wer davon als „arbeitslos“ gilt:

 

Nicht in der Liste steht die sogenannte „stille Reserve“. Das sind Menschen, die nicht arbeitslos gemeldet sind – beispielsweise, weil sie weder Geld noch sonst etwas Positives vom Arbeitsamt erwarten –, die aber dennoch auf offene Stellen zugreifen würden, wenn sich eine böte. Die Schätzungen reichen von einer hohen sechsstelligen Zahl bis zu drei Millionen Menschen. Auch unter der steigenden Zahl von Teilzeitarbeitskräften suchen viele nach einer Möglichkeit, die Zahl ihrer Arbeitsstunden auszudehnen – auch eine Form der Unterbeschäftigung oder teilweisen Arbeitslosigkeit.
Es gibt also viele Zahlen zur Arbeitslosigkeit und viele Möglichkeiten, mit diesen Zahlen Politik zu machen.

Neusprech: 3,6 Millionen Arbeitslose heißen jetzt Vollbeschäftigung

Stets aufs Neue nutzen besonders gerne Politiker der Großen Koalition die monatlichen Arbeitsmarktzahlen, um zu verkünden, damit seien es so wenige Arbeitslose wie Anfang der 90er-Jahre und langsam aber sicher näherten wir uns der Vollbeschäftigung. Dabei gab es schon damals Diskussionen um die wahre Höhe der Arbeitslosenzahl. Heute kommt zu den 2,66 Millionen amtlich gezählten Arbeitslosen selbst nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit eine weitere Million dazu, die auch keine Arbeit haben. Sie werden aber nicht mitgezählt, weil sie beispielsweise an einer Maßnahme der Agentur teilnehmen, krank gemeldet sind oder als ältere Langzeitarbeitslose (ab 58 Jahre) nicht als Arbeitslose mitgezählt werden. Vollbeschäftigung galt früher zu „Vollbeschäftigungszeiten“ bei einem Prozent Arbeitslosigkeit, heute wären das nach damaligen Maßstäben gut 300.000 Arbeitslose. Aber jetzt sprechen Politiker von „Jobwunder“.

Arnold Voskamp
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