Der Sachbuchautor Ole Nymoen verweigert sich dem Appell zur Kriegstüchtigkeit
Von Christoph Theligmann
Deutschland soll kriegstüchtig werden. Es wird über eine Wiederauflage der Wehrpflicht diskutiert. Äußerungen wie: „Wir müssen in die Lage kommen, uns verteidigen zu können, um uns nicht verteidigen zu müssen“ – diese Sätze sind zu hören und zu lesen.
Das Jahr 2025 ist ein Thomas Mann Gedenkjahr. Sein Erstlingsroman Buddenbrook hat den Untertitel Verfall einer Familie.
Der Verfall, den Thomas Mann erzählt, vollzieht sich in vier Schritten: Erfolg, Komfort, Vergeistigung, Dekadenz. Das gilt vielleicht auch für Nationen. Und was heute Burnout heißt, nannte man zu Thomas Manns Zeiten übrigens Neurasthenie.
Die Mann-Erzählung erstreckt sich über einen Zeitraum von vier Generationen. Das sind ca. 75 Jahre, wenn man die Zeitdauer von durchschnittlich 25 Jahre je einer Generation im Erwachsenenalter heranzieht.
Im Mai wurde des 2. Weltkriegsendes vor achtzig Jahren gedacht. Auch hier kann man einen Verfall der vom Weltkrieg betroffenen Länder Mittel- und Westeuropas in ebenfalls vier Schritten feststellen: Erfolgreich aufgestanden aus Ruinen, Wirtschaftswunder gleich Komfort, Studentenrevolte gleich Vergeistigung, Ölkrise und nicht endendes Krisen-Mikado gleich zunehmender Verfall.
In dieser, negativen Bezeichnung Endzeitstimmung, positiven Bezeichnung Zeitenwende, erschien zu Beginn des Jahres ein Sachbuchbestseller: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit, von Ole Nymoen. Der Autor ist 1998 geboren.
Argumente gegen eine Kriegsbeteiligung
Das Bemerkenswerte an dem Buch ist, dass Ole Nymoen nicht sein Gewissen voranstellt, um eine mögliche Kriegsteilnahme als Soldat für sich auszuschließen. Für ihn zählen hauptsächlich rationale Gründe. Diese stellt er anschaulich in den Vordergrund seiner Argumentation.
Hier einige Beispiele: Die Staatssouveränität will geschützt, soll wehrfähig sein. Dazu werden notfalls Menschenleben geopfert, obwohl die Menschen mit- und untereinander oft gar keine, geschweige denn tödliche Meinungsverschiedenheiten haben. Dennoch werden sie mit Waffen aufeinandergehetzt.
Der einzelne Bürgerwille, lieber in Unfreiheit zu leben, statt für die Freiheit zu sterben, zählt nicht. Auch die Frage, ob es nicht wert sei, eine demokratische Grundordnung zu verteidigen, stellt sich ja dann nicht, wenn man sich nicht als sinnvollen Teil einer Gesellschaft sieht, in der zwar jeder für sich verantwortlich sein soll, doch die Tolerierung von extremem Reichtum auf der einen, von Armut auf der anderen Seite die Vorgabe ist. Verteidigungswerte Gemeinschaft?
Errungenschaften, die da wären, Bildung und medizinische Versorgung etc. existieren in Wahrheit doch nur als Bedingungen für ein Humankapital, willens des Erfolgs einer Volkswirtschaft als Ganzes, so der Autor.
Frieden braucht keine Fahnenflucht
In einer zukünftigen Welt, die schon allein durch den Klimawandel gefährdet ist, sind es die Jüngeren, die als erstes die Zeche zahlen müssen. Die gleiche Altersgruppe, die vorzugsweise zu den Waffen gerufen wird, wenn es todernst wird. Dann wird verstärkt zuallererst und dann zuallerletzt an die Solidargemeinschaft dieser und später, falls vonnöten, aller Altersgruppen appelliert. Gleichzeitig der Kontrast der Konkurrenz unter den Staaten in jeweiliger repräsentativer Form der wenigen, die, daran hat sich nichts geändert, wie ein Sonnenkönig „L’Etat c’est moi – Der Staat bin ich“ tönen.
Vorausgesetzt, wir befänden uns in der Tat im Jahr 2025 und achtzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in einem Zustand der Staaten-Dekadenz, in einem letzten Status eines Verfallprozesses, dann sei es der Leserschaft überlassen zu beurteilen, ob Ole Nymoens Argumente die eines Vaterlandslosen Gesellen oder, die Polarisierung ist zwangsläufig, die eines Wohlstandskindes einer friedvollen Mutter der Weisheit sind.
Eine veränderte Form des Beitrags erschien vom Rezensenten am 17. April 2025 als Blogbeitrag (https://proscript.de/menschen-und-nationen-neurasthenie)
Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit; Rowohlt Taschenbuch Verlag; Hamburg 2025; 144 Seiten; 16 Euro; ISBN 978-3-644-02397-0; in der Stadtbücherei Münster im Bereich Sozialwissenschaften ausleihbar.