Arbeit und Soziales Kommentar Zum Leben zu wenig

Opposition wieder in Opposition zum Bürgergeld

Warum aus dem geforderten Lohnabstandsgebot besser ein Lohnanstandsgebot würde

Von Christoph Theligmann

Politik muss Entscheidungen im Zusammenhang treffen. Fehlt die Fähigkeit oder der Wille dazu, beruht das Ergebnis allzu oft auf rein machtpolitischen Überlegungen – oder, um eine bestimmte Klientel zu bedienen. Wirtschafts- und sozialpolitisch gibt das Lohnabstandsgebot vor, solch einen sinnvollen Zusammenhang zu schaffen.

Friedrich Merz, CDU-Chef und Oppositionsführer im Bundestag, und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, interner Oppositionsführer der Ampelregierung, haben recht: Die Erhöhung des Bürgergelds zum 1. Januar 2024 ist eine ungerechte Entscheidung – sowohl im Hinblick auf die allgemeine Wirtschafts- und Finanzlage als auch auf Grund der Arbeitsmarktsituation in Deutschland.

Beide Politiker sehen nämlich zu Recht das sogenannte Lohnabstandsgebot missachtet. Dieses Prinzip besagt, dass es einen Unterschied in der Höhe von Transfergeld zum Arbeitsentgelt, vom Bürgergeld zum Lohngeld also einen Unterschied in angemessenem Abstand geben muss. Wird das Prinzip gewahrt, kann ein*e potenzielle*r Arbeitnehmer*in auf Arbeitsangebote positiv und nicht ablehnend reagieren. Und auch sozialversicherte Lohnarbeit bleibt attraktiv, weil sie sich lohnt.

Abstand zwischen Arbeitslohn und Bürgergeld als Stellschraube

Wenn eine Gleichung nicht mehr gilt, gibt es in der Mathematik zwei Möglichkeiten einer Korrektur. Das Eingreifen auf der rechten oder eine Korrektur auf der linken Seite der Gleichung. Man ist geneigt hinzuzufügen: Auch die politische Sitzordnung kennt rechts und links. Wenig überraschend, dass die beiden eingangs erwähnten Politiker einen Eingriff auf der rechten Seite bevorzugen.
Arbeitslohn > (größer) Bürgergeld heißt die Gleichung. Und damit diese Gleichung aufgeht, gelingt eine erfolgreiche Intervention von rechts nur mit Hilfe einer Kürzung und der Reduzierung des Postens Bürgergeld. So weit, so ungut.
Bundessozialminister Hubertus Heil von der SPD sagt: „Arbeit macht den Unterschied und Arbeit lohnt sich.“ Das Bürgergeld ist das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum bei Langzeitarbeitslosigkeit. Die geplante Anhebung des Bürgergeldes sichere das garantierte Existenzminimum in Zeiten von galoppierenden Inflationsraten. Bedürftige Singles bekommen, in nackten Zahlen, nächstes Jahr 563 Euro im Monat, also 61 Euro mehr als jetzt.
Mit der Abkehr von Hartz IV hatte die Ampel beschlossen, die Inflation künftig stärker bei der Berechnung von Sozialleistungen zu berücksichtigen. Die Union hatte dieser Methode, wie das Bürgergeld angehoben werden soll, im Hinblick auf den Teuerungsraten erst im vorigen Jahr, im Jahr 2022, nach langen Verhandlungen zugestimmt.

Kassiert die Union diese Zustimmung nun ein?

Merz hatte wiederholt die geplante Anhebung des Bürgergeldes Anfang 2024 kritisiert: Diejenigen, die arbeiten, müssten am Ende des Monats „mehr Geld in der Tasche haben“ als diejenigen, die soziale Transferleistungen bekommen, sagte er. Ja eben – Nur,…?!
Auch sein CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann scheint unter dem gleichen Gedächtnisverlust zu leiden. Unlängst sprach der sich für die Abschaffung des Bürgergeldes in der derzeitigen Fassung aus.
Solche Aussagen zur geplanten Anhebung des Bürgergelds erwecken den Eindruck, als gelten Vereinbarungen nicht mehr – so verlieren die Bürgerinnen und Bürger weiteres Vertrauen in die Politik und ihre Vertreter*innen.

Erhöhung des Mindestlohns als Arbeitsanreiz

Die Debatte über das Lohnabstandsgebot ist nicht neu, aber in Inflationszeiten von neuer Dringlichkeit. Dem Automatismus bei der Anpassung der Sozialleistungen einen Koppelungsmechanismus bei der Lohnentwicklung zur Seite zu stellen, bietet sich da an.
Das Problem: Derartig statische Maßnahmen widersprechen dem freien Spiel der Marktkräfte, welches bei Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen gelten sollte, sei es in einem tariflichen Rahmen oder auch außertariflich. Denn es gelten nun mal die ungeschriebenen Gesetze der sozialen Marktwirtschaft.
Als Lösung bietet sich bei dringlicher Ausnahme aber unbedingt das Eingreifen des Staates an: Um das Lohnabstandsgebot zu wahren, muss er gegebenenfalls für einen austarierten Mindestlohn sorgen. Der Mindestlohn steigt nächstes Jahr lediglich um 41 Cent auf 12,41 Euro. So gewinnt man keinen Abstand. Aber man gewinnt die Verbitterung der Armen gegen die Armen, von Menschen mit niedrigem Arbeitseinkommen gegen solche im Bürgergeldbezug.
Es ist ein ureigen beabsichtigtes, populistisches Kalkül, wenn auf rechter Seite auf Kosten von Lebensexistenzen, von Menschen, polemisiert und mit Rechentricks gearbeitet wird.
Die Rechten betonen doch stets die Gültigkeit der Gleichung Arbeitslohn > (größer) Bürgergeld.
Wobei wir bei den Sparvorstellungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wären. Denn wenn die Liberalen nach zwei Jahren Ampel eines verinnerlicht zu haben scheinen, dann, dass SPD und Grüne aus liberaler Perspektive „Sozialreform“ gewohnheitsmäßig mit „Mehr Geld für Soziales“ übersetzen. Das ist ein Grundkonflikt, bei dem die Liberalen lieber gar kein oder weniger Geld und SPD/Grüne lieber mehr Geld einsammeln und umverteilen wollen. Wobei die Frage erlaubt sei, ob die Existenzgarantie des Menschen und die im Verbund damit berechtigte „Garantie plus“ bei Arbeitsleistungen überhaupt ein Betätigungs- und Arbeitsfeld einer Sozialreform ist. Ist es nicht vielmehr eine Sache des Anstands?
Man möge dann doch bitte ehrlicherweise in Zukunft in diesem Zusammenhang von einem Lohnanstandsgebot sprechen.