aus dem Magazin Zum Leben zu wenig

Nachhaltiger und fairer Konsum – nur was für Reiche?

Aus der Sperre Sommer 2019

Menschen mit wenig Geld belasten die Umwelt von vorneherein weniger

Ein Gastbeitrag von Maike Grabowski

Foto: pixabay.com
Foto: pixabay.com

Unsere Smartphones enthalten aus Coltan gewonnenes Tantal und Nickel aus Ländern, in denen Bürgerkriege um den Abbau dieser natürlichen Ressourcen geführt werden. Unser Strom wird oft noch mit Braunkohle oder Atomkraft produziert. Viele der Lebensmittel, die wir essen, sind nur so billig, weil die EU Massentierhaltung subventioniert oder unsere Konsumgüter auf dem außereuropäischen Markt erwirbt, wo die Produktion mit Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen einhergehen.

Es gibt also kaum einen Bereich in unserem Leben, der keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen in anderen Ländern hat. Fairer Konsum ist daher das Gebot der Stunde.
Aber ökologischer Konsum und naturverträgliche Lebensweise – das können sich Menschen mit wenig Geld doch gar nicht leisten, heißt es oft. Wer fair gehandelte Sachen kaufen möchte, muss meistens etwas mehr bezahlen und im Bioladen kostet alles viel mehr. Aber stimmt das eigentlich?

Was ist überhaupt Nachhaltigkeit?

Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bezeichnet das Prinzip, in einem Wald nur so viel abzuholzen wie auch in absehbarer Zeit auf natürliche Weise nachwachsen kann. Dieses Grundprinzip von Nachhaltigkeit ist seit den 1990er-Jahren offizielles Leitbild politischer und ökologischer Nachhaltigkeitsüberlegungen. Seit dem Jahr 2016 gibt es sogar 17 Weltnachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals oder kurz SDGs), die die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2030 umgesetzt haben wollen. Der Kern der Weltnachhaltigkeitsziele ist es, ein global verantwortliches nachhaltiges Handeln in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen zu erwirken, um eine ökonomische, soziale und ökologisch nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

Geld ist klimaschädlich
Erst einmal: Je mehr Geld ein Mensch zur Verfügung hat, desto mehr lebt er bzw. sie auf Kosten der Umwelt.1 Denn egal, ob die Gehaltserhöhung in einen Haus- oder Autokauf, eine Flugreise oder ein neues Handy investiert wird: Jede Umwandlung von Geld in Dinge oder Dienstleistungen wirkt sich klima- und umweltschädlich aus. Das gilt auch für all diejenigen, die zwar nur im Bioladen einkaufen, aber doch mindestens einmal im Jahr nach Thailand fliegen müssen, eine große Wohnung zum Wohlfühlen brauchen und die sich immer wieder neue Klamotten kaufen wollen, selbst wenn die dann fair gehandelt sind.

Leute mit kleinem Geldbeutel konsumieren (wenn auch vielleicht zwangsläufig und nicht immer aus Überzeugung) weniger und sind somit per se nachhaltiger in ihrer Lebensweise. Das gilt auch, wenn ihre Produkte wenig energiesparend hergestellt wurden. Denn wer sich nicht ständig etwas Neues kaufen kann, der muss eben Dinge länger benutzen und sie erst einmal reparieren, bis sie wirklich nicht mehr zu gebrauchen sind.

Die Pyramide des Nachhaltigen Konsums,  Quelle: Smarticular.net https://www.smarticular.net/nachhaltig-leben-und-konsumieren-einkaufen-pyramide-tipps-fuer-den-alltag/

Kann Konsum überhaupt nachhaltig sein?

„Nachhaltiger Konsum“ oder „Grünes Wachstum“ – so lautet die Lösung derer, die alles dem Markt überlassen wollen. Wenn alle Verbraucher*innen nur noch nachhaltige oder fair gehandelte Produkte nachfragen, werde die Wirtschaft sich von alleine umstellen, nach dem Motto: Der Markt wird sich schon selbst regulieren.
Die Probleme bei diesem Vorschlag: Die Verantwortung für eine Veränderung des Systems wird zum einen alleine den Verbraucher*innen zugeschoben. Darüber hinaus wird die Logik einer auf unbegrenztem Wachstum ausgerichteten Konsumgesellschaft nicht in Frage gestellt, obwohl schon lange klar ist, dass die Ressourcen der Erde begrenzt und endlich sind. Und: Um sich in dem unübersichtlichem Siegel-Dschungel von (vermeintlich) nachhaltigen Produkten zurechtzufinden, braucht es meist Zeit und Orientierungshilfen.
Nachhaltige Produkte boomen zwar – doch die Probleme der Konsumgesellschaft lassen sich auch mit noch so „grünem“ Konsum nicht lösen. Denn in Deutschland wird immer mehr konsumiert. Der deutsche Erdüberlastungstag fiel dieses Jahr auf den 3. Mai, seit diesem Tag leben wir auf Kosten anderer Länder, da wir die uns zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen bereits verbraucht haben. Zu den Gründen für unseren hohen Ressourcenverbrauch zählen an vorderster Stelle der steigende CO2-Ausstoß, die Massentierhaltung sowie ein viel zu hoher Energiekonsum.2

Es macht keinen Sinn, Bioprodukte zu kaufen, wenn man davon immer und immer mehr konsumiert. Dann ist nämlich der Einspareffekt futsch. So ist etwa der Treibhausausstoß in Deutschland in den vorigen 20 Jahren gestiegen und unser ökologischer Fußabdruck hat sich vergrößert, auch wenn alles umweltverträglicher produziert wird als noch vor 20 Jahren. Und das ganz einfach, weil immer mehr produziert und gekauft wird.

Engagement für mehr Nachhaltigkeit in Münster

Nichts schont die Ressourcen mehr als das zu gebrauchen, was schon da ist und Mehrproduktion zu vermeiden. Dafür gibt es auch in Münster viele Möglichkeiten. (Ich gehe hier lediglich auf die Bereiche Nahrung und Kleidung ein, eine ausführliche Übersicht findet sich in der Broschüre „Nachhaltig durch Münster“, die vom ASTA herausgegeben wurde.3

Münster – die nachhaltige Stadt(?)

Münster wurde kürzlich zur „nachhaltigsten Großstadt“ Deutschlands gekürt. Grund dafür ist unter anderem, dass Münster Ende 2018 eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet hat, die sicherstellen soll, dass die Stadt in all ihrem Tun globale Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt. So will die Stadt unter anderem bis zum Jahr 2030 ihre Beschaffung nach nachhaltigen Kriterien ausrichten: Das heißt, dass beispielsweise die Arbeitskleidung der Abfallwirtschaftsbetriebe zu 100 Prozent als fair gehandelte, ökologisch produzierte Waren beschafft werden soll. Zudem soll der Lebensmittelbedarf ebenfalls zu 100 Prozent aus umweltschonend saisonal produzierten Lebensmitteln der Region gedeckt werden.4 Unlängst, genau am 22. Mai, hat der Rat der Stadt für Münster sogar den Klimanotstand ausgerufen, als erste größere Stadt in Nordrhein-Westfalen.
Dass die Stadt sich solche Ziele setzt und diese hoffentlich auch konsequent umsetzen wird, ist nicht zuletzt dem Engagement verschiedenster Initiativen in Münster zu verdanken, die sich in den unterschiedlichsten Bereichen für eine umweltgerechte, faire und nachhaltige Welt einsetzen. Sie engagieren sich vor allem in zwei Bereichen:

Bereich 1: Gegen die Lebensmittelverschwendung

313 Kilo Lebensmittel, die noch essbar sind, werden pro Sekunde in Deutschland weggeworfen.5 Dabei wird nicht nur das Essen verschwendet, sondern viele Ressourcen, die bei der Herstellung verbraucht werden, seien es Wasser, Boden oder Arbeitskraft. Ein Beispiel: Mit jedem Kilo nicht verzehrten Brotes werden 1000 Liter verwendetes Wasser verschwendet. Acht Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entsteht durch diese Lebensmittelverschwendung.6 Dagegen vorzugehen haben sich beispielsweise die „Fairteilbar“, „Foodsharing Münster“ und die „To good to Go“-App auf die Fahnen geschrieben.

Foodsharing Münster

Teilen statt wegwerfen lautet das Motto der Initiative. Überschüssige Lebensmittel auf Privathaushalten oder Supermärkten werden zur kostenfreien Abholung angeboten oder zu der Sammelstelle „Fair-Teiler“ in der Baracke am Aasee gebracht.

www. foodsharing.de oder in der Facebookgruppe Foodsharing Münster

Fairteilbar

Die Fairteilbar, die in Kürze an der Hammer Straße 60 ihr Tore öffnen wird, ist ein Bistro, eine Projektküche und ein Laden in einem. Dort werden Lebensmittel angeboten, die aus den unterschiedlichsten Gründen aussortiert wurden. Man kann diese Lebensmittel dort zu einem „Zahl-was-es-Dir wert ist“-Preis einkaufen oder direkt im Bistro genießen.

www.fairteilbar-muenster.de

To Good to Go

In dieser kostenfreien App können gastronomische Betriebe ihr überschüssiges Essen zu einem vergünstigten Preis anbieten, welches man sich dann dort abholen kann.

https://toogoodtogo.de

Bereich 2: Leute machen Kleider

Klamotten, die man bei Läden wie Primark und H&M bekommt, werden unter katastrophalen Arbeits- und Umweltbedingungen hergestellt. Beim wasserintensiven Baumwollanbau werden giftige Pestizide eingesetzt, Chemikalien zum Färben in die Flüsse abgeleitet und die Arbeiter*innen (meistens Frauen), müssen in langen Schichten für einen minimalen Lohn arbeiten, der nicht zum Leben reicht. Dass ein T-Shirt dann für 2,99 Euro bei uns im Laden zu kaufen ist, liegt daran, dass die großen Modefirmen dort produzieren lassen, wo es für sie am günstigsten ist.7

Am besten ist es daher, gar keine neue Kleidung zu kaufen, sondern in den diversen Secondhand-Läden in Münster zu stöbern oder auf Kleidertauschpartys, in Kleiderkammern, auf Flohmärkten oder in Give-Boxen nach gut erhaltener Kleidung zu schauen.
Muss es doch mal ein neues Stück sein, dann bieten die fair und ökologischen Kleidungsgeschäfte gruene wiese, Frau Többen oder die nachhaltigen lokalen Labels KnowMe und Fuxbau eine gute Auswahl.
Das Tolle an all diesen Optionen: Man spart Geld und schützt gleichzeitig die Umwelt!

„Kampagne für saubere Kleidung“

Die „Clean Clothes Campaign“ oder „Kampagne für saubere Kleidung“ setzt sich auf politischem Wege dafür ein, dass sich die Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen in den Produktionsländern unserer Kleidung verbessern. In Münster gibt es eine Regionalgruppe, die bunte Aktionen zu dem Thema plant und durchführt. Für Leute, die sich mit engagieren wollen, gibt es regelmäßig Einsteiger*innen-Treffen.

Grafik: Clean Clothes

https://saubere-kleidung.de & Facebook: Clean Clothes Münster

System Change not Climate Change

Es gibt viele Bereiche, in denen jede*r Einzelne dazu beitragen kann, die Ressourcen zu schonen: Wir können uns jeden Tag neu entscheiden, welche Verkehrsmittel wir nutzen, was wir essen, welche Kleidung wir tragen und ob wir Dinge wirklich brauchen. Wir müssen uns nicht alles leisten können – was wir uns jedenfalls auf keinen Fall leisten können, ist, auf Kosten der Umwelt und anderer Menschen zu leben.
Aber: Allein über das persönliche Konsumverhalten werden sich die strukturellen Gründe für die weltweite Ressourcenverschwendung nicht beseitigen lassen. Hier ist vor allem die Politik gefragt. Die politischen Entscheidungsträger*innen in der EU, Bund und Land müssen verbindliche Rahmenbedingungen und eine Infrastruktur für ein ressourcenschonendes Wirtschaften schaffen. Dabei ist es dringend erforderlich, die Wirtschaft zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards zu verpflichten. Der Energiewende und dem Kohleausstieg muss höchste Priorität beigemessen, sowie klimafreundliche Mobilitätskonzepte entwickelt und umgesetzt werden.
Auch im Bereich Landwirtschaft ist ein Wandel hin zu ressourcenschonenden und pestizidfreien Anbaumethoden notwendig. Gleichzeitig muss Schluss sein mit einer industriellen Tierhaltung, für deren Futtermittel immense Flächen verbraucht werden und deren Abfallprodukte Gülle und Ammoniak Grundwasser und Klima belasten.
Hier können wir Entscheidungsträger*innen in Wirtschaft und Politik Druck machen, damit sie endlich konsequent handeln! Denn wir haben nur eine Erde und die gilt es auch für die nachfolgenden Generationen zu bewahren.

Noch mehr Informationen zu dem großen Thema gibt es im Netz unter www.vamos-muenster.de oder https://www.facebook.com/VamosMuenster/

Maike Grabowski, früher einmal selbst Mitglied der SPERRE-Redaktion, ist Geschäftsführerin und Eine-Welt-Promotorin bei Vamos e.V. Der entwicklungspolitische Verein in Münster setzt sich für weltweite Gerechtigkeit, einen ökologisch verantwortlichen Umgang mit der Erde sowie menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen ein. Vamos informiert durch entwicklungspolitische Wanderausstellungen und Bildungsmaterialien, führt konsumkritische Stadtrundgänge und Upcycling-Workshops durch und berät unter anderem zu Fragen der Nachhaltigkeit und des Fairen Handels.

 Textanmerkungen:

[1] Die Befragten in der untersten Einkommensgruppe haben im Mittel einen Gesamtenergieverbrauch von rund 10.000 kWh/a, bei den Befragten mit hohen Einkommen liegt er mit knapp 20.000 kWh/a fast doppelt so hoch (Quelle: ebd., S.12).

2 https://germanwatch.org/de/overshoot

3 herunterzuladen unter: https://www.asta.ms/images/Dokumente/Asta/Publikationen/Reader/Reader_nachhaltig_durch_Muenster.pdf

4 https://www.stadt-muenster.de/fileadmin/user_upload/stadt-muenster/67_umwelt/pdf/gnk_nachhaltigkeitsstrategie-muenster2030_entwurf.pdf. S.71

5 aus: Das Große Wegwerfen. WWF Studie. 2015

6 https://toogoodtogo.de/de

7 vgl.www.saubere-kleidung.de