Die Gewerkschaften loben die Pläne aus dem Bundesministerium, eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung einzuführen
Ein Gastbeitrag von Carsten Peters¹ aus der Frühjahrs Sperre 2019
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützt den Vorschlag von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), eine Grundrente für Menschen einzuführen, die 35 Jahre oder länger zu einem niedrigen Einkommen gearbeitet haben.
CDU und SPD hatten sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag auf die Einführung einer Grundrente geeinigt. Diese sollte pauschal zehn Prozent über der Grundsicherung liegen, wobei die Bedürftigkeit vorliegen sollte. Um diese zu prüfen, sollten Rentenversicherung und Sozialamt zusammenarbeiten. Heils Vorschlag geht deutlich darüber hinaus: Wenn eine Person 35 und mehr Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, aber wegen eines dauerhaft niedrigen Einkommens nur eine niedrige Rente bekäme, soll diese erhöht werden – ohne vorherige Prüfung der Bedürftigkeit. Zur Erklärung: Wer in einem Beitragsjahr entsprechend dem bundesweiten Bruttodurchschnittsverdienst (im Jahr 2019 ungefähr 3250 Euro) Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, bekommt einen Entgeltpunkt gutgeschrieben. Wer 80 Prozent vom Durchschnittseinkommen verdient hat, bekommt 0,8 Entgeltpunkte, bei 60 Prozent sind es 0,6 Rentenpunkte und so weiter. Werden so nach mindestens 35 Beitragsjahren maximal 0,8 Entgeltpunkte durchschnittlich erreicht, greift die Grundrente. Die vorhandenen durchschnittlichen Entgeltpunkte werden verdoppelt, höchstens aber auf 0,8 Entgeltpunkte pro Jahr und für 35 Jahre zusätzlich gutgeschrieben. Um es konkret zu machen: Die Grundrente soll bekommen, wer mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat. Die Rente wird dann um bis zu 448 Euro erhöht, abhängig von der Höhe der eigenen Beiträge. Wer im Mittel der 35 Jahre mindestens 40 Prozent des durchschnittlichen Lohns hatte, hat dann eine Rente von 896 Euro. Beschäftigte, die viele Jahre zu geringen Löhnen arbeiten mussten, sollen am ende nicht in die Grundsicherung fallen, sondern eine ausreichende gesetzliche rente ohne Bedürftigkeitsprüfung bekommen. Ergänzend soll das Wohngeld verbessert werden, damit die Rente auch bei höheren Wohnkosten noch ausreichend ist.
Bedürftigkeitsprüfung – ja oder nein?
Die Unionsparteien kritisieren den Vorschlag: Nicht finanzierbar sei das Konzept und ein Bruch des Koalitionsvertrages. CDU und CSU bestehen auf einer Bedürftigkeitsprüfung durch das Sozialamt. Insofern bleibt die Frage, was von den zu begrüßenden Vorschlägen tatsächlich umgesetzt werden kann. zudem treffe die Bedürftigkeitsprüfung in erster Linie reiche Haushalte und helfe Missbrauch und damit Ungerechtigkeit zu vermeiden, so ein weiteres Argument der Kritiker*innen. Doch das Gegenteil ist der Fall: ein Mann hat 45 Jahren lang durchschnittlich rund 3200 im Monat verdient. Er bekommt eine Rente von 1285 Euro ausgezahlt. Er lebt mit einer Frau zusammen, die ein Kind erzogen hat und noch 35 Jahre für monatlich 1000 euro arbeiten gegangen ist. Sie bekommt 395 Euro Rente. Zusammen haben sie 1680 Euro. Bei einer Miete von 700 Euro haben sie somit 220 Euro mehr als das Existenzminimum. An einer Bedürftigkeitsprüfung, wie die Kritiker sie fordern, würden sie scheitern und ihr Alters-einkommen würde trotz jahrzehntelanger Arbeit nicht erhöht. Ginge es nach dem Arbeitsminister bekäme das Paar eine rund 300 Euro höhere rente ausgezahlt.
Von derlei Beispielen dürften weit mehr Menschen betroffen sein, als die oft genannten „Arztgattinnen“. Von
der Grundrente nach Heils Modell hätten rund drei Millionen Menschen etwas, rund zwei Millionen davon Frauen. Nach einer Bedürftigkeitsprüfung wie beschrieben nur rund 130.000 Menschen. Was soll daran gerechter sein?
Ausreichende Rente nach langem Erwerbsleben
Eine weitere Kritik lautet, es sei ungerecht, wenn jemand 34 Jahre eingezahlt habe und keine Grundrente bekomme. Doch auch dieser Einwand ist nicht haltbar. Denn rund 75 Prozent der Altersrenter*innen mit weniger als 35 Beitragsjahren erreichen keine 30 Beitragsjahre. Von „knapp verpasst“ kann also bei der Mehrheit der Betroffenen keine Rede sein. Zu dem: Würden weniger Beitragsjahre zur Grundrente reichen, käme am ende weniger als das Existenzminimum heraus. Nach dem Modell von Hubertus Heil soll die Rente bei denjenigen erhöht werden, die im Durchschnitt 35 Jahre lang mindestens 0,2 und höchstens 0,8 Entgeltpunkte erworben haben. Aus beispielsweise 30 Beitragsjahren ergibt sich danach eine ausgezahlte Rente von 684 Euro im Monat, deutlich
weniger als die Grundrente. Eine deutlich reduzierte Wartezeit würde also die Kosten für die Grundrente nach oben
treiben und überdies den Betroffenen kaum noch helfen. Zielführend ist zudem, dass die neue Grundrente durch weitere Komponenten flankiert werden soll. Das ist zum einen die regelmäßige Anpassung der Miet- und Einkommensgrenzen beim Wohngeld. So soll verhindert werden, dass Rentner*innen durch die jährlichen Rentenanpassungen ihren Wohngeldanspruch verlieren. Zusätzlich soll ein pauschaler Freibetrag zum Wohngeld eingeführt werden, der sich am existierenden Freibetrag für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 125 Euro orientiert. Ferner soll ein Freibetrag in der Grundsicherung in Höhe von 25 Prozent der individuellen Rente eingeführt werden. Dieser Freibetrag zielt auf die unterschiedlichen Bedarfe ab, die Menschen im Alter
haben. So soll in jedem Fall garantiert sein, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, mehr haben als nur die Grundsicherung.
Vor allem Frauen profitieren
Der Vorschlag des Bundesarbeitsministers entspricht praktisch der DGB-Forderung, die Rente nach Mindestentgeltpunkten weiterzuführen. Konkret heißt das: Wer lange einzahlt, bekommt seine Rente zielgenau aufgestockt. Bei der Grundrente kann dieser Zuschlag stellenweise noch höher ausfallen. Das neue Konzept zur Grundrente sowohl für Rentenneuzugänge als auch für den Rentenbestand gelten zu lassen, ist ausdrücklich zu begrüßen. Die Maßnahmen würden sofort nach Einführung wirksam und gleichzeitig Ungerechtigkeiten zwischen Neu- und Bestandsrentner*innen vermeiden. Von der Regelung würden zu 75 Prozent Frauen profitieren.
Fazit: Die Grundrente erreicht zwei ziele. Sie bewahrt den Grundgedanken der Rentenversicherung: Wer mehr
eingezahlt hat, bekommt auch mehr. Und die Verantwortung für Armutsrenten, die aus Niedriglöhnen oder unfreiwilliger Teilzeit resultieren, liegt in erheblichem Maße bei den Unternehmen bzw. der gesamten Gesellschaft. Daher muss das Augenmerk auch weiterhin auf dem Abbau des Niedriglohnsektors und einer zügigen Steigerung des Mindestlohns liegen, um dafür zu sorgen, dass prekäre und nicht die persönliche Existenz sichernde Arbeit zugunsten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung zurückgeht. Grundsätzlich geht es um Würde, Anerkennung und respekt. Altersarmut muss zurückgedrängt werden. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass es sich um Reparaturmaßnahmen am Sozialsystem handelt, die jedoch dringend erforderlich sind. Sie helfen, die durch die Rentenkürzungen früherer Jahre entstandenen sozialen Verwerfungen zu lindern.
¹Gastautor Carsten Peters ist stellvertretender Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes Münster.
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