Sozialleistungsträger müssen umfassend über alle in Frage kommenden Leistungsansprüche beraten. Tun sie das nicht, entsteht möglicherweise ein Anspruch auf Schadensersatz. Ein Behinderter hatte im Sozialamt Grundsicherung wegen dauerhafter voller Erwerbsminderung beantragt. Das Sozialamt hätte darauf hinweisen müssen, dass möglicherweise ein Rentenanspruch besteht. Später hat der Mann einen Tipp auf eine Rente erhalten. Er hat eine Rente beantragt und bewilligt bekommen. Diese lag über der jahrelang gezahlten Grundsicherung. Der Bundesgerichtshof hat nun beschlossen, dass das Sozialamt Schadensersatz für die entgangene Rente leisten muss.
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil die Beratungspflicht der Sozialleistungsträger klar und deutlich abgeleitet, siehe Auszug. Es insbesondere darauf hingewiesen, dass die Beratungspflicht auch bestand, obwohl der Antragsteller gar nicht danach gefragt hat.
BGH, 2. August 2018 – III ZR 466/16, Pressemitteilung des Gerichts
Auszug aus dem Urteil:
Im Sozialrecht bestehen für die Sozialleistungsträger besondere Beratungs- und Betreuungspflichten. Eine umfassende Beratung des Versicherten ist die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr nur die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten, das heißt die aufmerksame Prüfung durch den Sachbearbeiter, ob Anlass besteht, den Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit seinem Anliegen verbinden; denn schon gezielte Fragen setzen Sachkunde voraus, über die der Versicherte oft nicht verfügt. Die Kompliziertheit des Sozialrechts liegt gerade in der Verzahnung seiner Sicherungsformen bei den verschiedenen versicherten Risiken, aber auch in der Verknüpfung mit anderen Sicherungssystemen. Die Beratungspflicht ist deshalb nicht auf die Normen beschränkt, die der betreffende Sozialleistungsträger anzuwenden hat.
Anmerkung:
Harald Thomé weist in seinem Newsletter 29/2018 vom 04.08.2018 darauf hin, dass der Gesetzgeber seit dem 1.8.2016 sogar eine erweiterte Beratungspflicht im Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) formuliert hat. Dieser Beratungsauftrag geht ausdrücklich darüber hinaus, was allgemein im Sozialrecht gilt. § 14 Absatz (2) heißt jetzt: „Leistungsberechtigte Personen erhalten Beratung. Aufgabe der Beratung ist insbesondere die Erteilung von Auskunft und Rat zu Selbsthilfeobliegenheiten und Mitwirkungspflichten, zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur Auswahl der Leistungen im Rahmen des Eingliederungsprozesses. Art und Umfang der Beratung richten sich nach dem Beratungsbedarf der leistungsberechtigten Person.“
(siehe https://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2392/)
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