aus dem Magazin

Amazon und Monopoly

● Von Pfennigfuchsern und Couch-Kartoffeln ●

auch Herztabletten für Opa
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Es ist so einfach, so bequem: Ins Neben-zimmer gehen, vor den Computer setzen, im Internet einen Versandhandel aufrufen, bestellen. Fertig.

Die Biographie von Lukas Podolski, Windeln fürs Baby und die Herztabletten für Opa, Eichen-schränke, Einbauküchen und von der indigenen Bevölkerung in Tahiti geschnitzte Einbäume – wer lange genug sucht, kann so ziemlich alles online kaufen. Das Beste aber: Aufgrund der riesigen Mengen, die große Versandhandel umsetzen, ist die Ware oft auch noch billiger als beim Einzel-händler in der City. Die schöne neue Konsumwelt im Netz ist ein Paradies für Menschenscheue, Pfennigfuchser und Couch-Kartoffeln.

Manche wissen es vielleicht gar nicht, andere verdrängen es einfach – den umwerfenden Service und die niedrigen Preise des Internetversand-handels bezahlen die Arbeitnehmer. Mit Hungerlöhnen und miesen Arbeitsverträgen. Die Gewerkschaft hat die Internetkaufhäuser deshalb schon lange im Visier. Im Juni streikte Verdi erneut mehrere Tage lang an vier Standorten des Online-Giganten Amazon, angeblich ein besonders schwarzes Schaf in der Branche, was Lohn und Arbeitsklima angeht.

„Die willkürliche und einseitige Festlegung von Löhnen und Arbeitsbedingungen und die Vielzahl befristeter Arbeitsverträge stellt die Beschäftigten weitgehend rechtlos“, rechtfertigt Stefanie Nutzenberger, Vorstands-mitglied bei Verdi, die neuerliche Arbeitsniederlegung. Amazon orientiert sich bei der Bezahlung seiner rund 9000 Beschäftigten an den Löhnen, die in der Logistikbranche gezahlt werden. Die Gewerkschaft hingegen fordert einen Tarifvertrag, der am Einzel- und Versandhandel angepasst ist und den Mitarbeitern ein höheres Gehalt bescheren würde. Der Konzern lehnt das bislang kategorisch ab.

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Beispiel Monopoly. Dort hat am Ende ein Spieler alles ………

Besser geht es den Angestellten am Stammsitz in Seattle, USA. Dort können sich die Arbeiter demnächst über eine saftige Gehaltserhöhung freuen. Der Stadtrat der Metropole an der Westküste hat nämlich neulich beschlossen, einen Mindestlohn von 15 Dollar einzuführen, umgerechnet elf Euro. Sechs Dollar mehr als Präsident Barak Obama landesweit fordert. Das Thema war zentral im Kommunalwahlkampf in Seattle, nun hat die Stadt neuerdings eine sozialistische Bürgermeisterin und einen eigenen Mindestlohn.

Doch die Sozialisten alleine, hätten den Mindestlohn kaum durchsetzen können, es brauchte schon eine breite Bürgerbewegung, die weit über die Grenzen der Linken hinausging. Zum Beispiel Nick Hanauer. Der erfolgreiche Geschäftsmann und Multi-Millionär war Anfang der 1990er einer der ersten Anteilhaber bei Amazon und hat die Konzernführung zehn Jahre lang beraten. Hanauer unterstützt die Demokratische Partei von Barak Obama. Fünf Millionen Dollar hat er angeblich bereits in die Wahlkämpfe der Demokraten gepumpt.

Für die Notwendigkeit eines Mindestlohns hat er ein einfaches Beispiel – Monopoly. „Dort hat am Ende ein Spieler alles und die anderen sind bankrott. Das Spiel ist dann aber leider vorbei“, erklärte er unlängst in einem Bericht des ARD-Morgenmagazins. „Im Spiel mag das lustig sein, aber im echten Leben ist das gefährlich.“ Arbeiter müssten mehr Geld bekommen, damit sie mehr Geld ausgeben können. „Das hält die Wirtschaft am Laufen“, sagte Hanauer. „Haben die Arbeiter kein Geld, dann hat die Geschäftswelt keine Kunden“, bringt er das Problem in einem Artikel für Bloomberg auf einen einfachen Nenner. Das sei ein fundamentales Gesetz des Kapitalismus, findet der Millionär. „In einem kapitalistischen System, führt wachsende Ungleichheit zu einer Todesspirale aufgrund der sinkenden Nachfrage, die alle mit hinunterzieht.“ Hanauer sieht die Millionen Niedriglöhner in den USA mit den Augen eines nüchternen Kapitalisten, „als Käufer, die gepflegt werden müssen und nicht als Kosten, die zu verringern sind.“

Die Menschen „als Käufer, die gepflegt werden müssen und nicht als Kosten, die zu verringern sind.“

Bei Amazon in Deutschland ist die Belegschaft gespalten. Rund tausend Arbeiter haben ein Bekenntnis unterschrieben, in der sie sich gegen das schlechte Image der Firma wehren. Amazon bezahle mehr als viele andere Versandhändler in der Branche. „Die neun Lager von Amazon stehen in strukturschwachen Gegenden wie dem Nordosten Hessens. Hier ist erst einmal jeder Arbeitsplatz willkommen“, stellt „Die Zeit“ fest.

.......und die anderen nichts
…….und die anderen nichts

Die Gewerkschaft hat sich deshalb für den Internetriesen eine besondere Strategie ausgedacht. Sie legt es nicht auf die große Auseinandersetzung an, sondern setzt auf Zermürbung. Sie streikt mal hier, sie mal dort. Die Konsequenzen sind dennoch erheblich. Anfang Juni blieben alleine in der Versandstation in Leipzig in einer Woche über 20.000 Päckchen liegen, behauptet Verdi. „Der Kunde bekommt das nur indirekt mit, weil sein Buch oder die DVD im schlimmsten Fall einfach nur später geliefert wird. Ob dies am Streik liegt oder weil die Ware schlicht gerade nicht auf Lager ist, erfährt er nicht“, schreibt „Die Zeit“.

Fatal für das Ruck-Zuck-Image von Amazon. Unzufriedene Besteller kann das Unternehmen am allerwenigsten gebrauchen. Im Kundenforum diskutieren die Käufer bereits verärgert die längeren Lieferzeiten. „Mir ist es auch schon aufgefallen, dass Prime-Artikel immer öfter erst 1-2 Tage nach dem angekündigten Datum (normalerweise Folgetag) geliefert werden obwohl ich Prime Kunde bin“, postet einer. Andere vermuten, dass sie genau zu dieser Prime-Mitgliedschaft gezwungen werden sollen. Einen Zusammenhang mit den Streiks sieht niemand.

Das Management sieht diese Entwicklung ungerne, davon ist auszugehen. Die Geschäftsidee lebt von der Schnelligkeit. Dauert es eine Woche oder mehr, bis die Kunden die Ware in Händen halten, kaufen sie womöglich bald wieder in der City. Deshalb ist Amazon den Gewerkschaften bereits entgegengekommen, zahlt inzwischen Weihnachtsgeld. Doch Verdi will mehr, Ziel ist ein komplett neuer Tarifvertrag. Sozusagen als Pilotprojekt für kleinere Online-Händler, beispielsweise Zalando. Ist die Bastion Amazon erst geschliffen, fallen auch die anderen in der Branche um wie Dominosteine, so die Überlegung der Gewerkschaft. Unterdessen führen die kleinen Buchverlage in Deutschland einen anderen Kampf gegen Amazon. Der Buchverkauf war einst das Kerngeschäft, mit dem die Erfolgsgeschichte des Unternehmens begonnen hat. Heute zwingt Amazon die Verlage erhebliche Rabatte von bis zu 50 Prozent zu gewähren. Wer nicht strammsteht, dessen Ware werde später ausgeliefert, so die Anschuldigung einiger kleiner Verlage. Amazon nutze seine Macht am Markt schamlos aus, wer als Autor nicht bei dem Versandhandel vorkomme, habe quasi nie ein Buch geschrieben. Letztes Jahr hat der Verleger Christopher Schroer die Konsequenz gezogen und sich von Amazon verabschiedet. Er spricht in seinem Kündigungsschreiben von Schikanen. Unter anderem würden gerade erst ausgelieferte Titel als Mängelexemplare angeboten. Einige andere sind ihm inzwischen gefolgt.

Gerrit Hoekman