Arbeit und Soziales

Mindestlohn schlägt Bürgergeld

Warum Arbeit sich auch bei niedrigem Lohn lohnt

Von Christoph Theligmann

Die Frage, ob es sich noch lohnt, einen schlecht bezahlten Job anzunehmen, wenn der Bürgergeldbezug fast gleichwertige finanzielle Mittel verspricht, beschäftigt die Gesellschaft. Eine neue Studie zeigt nun eindeutig: Arbeit zum Mindestlohn bietet in allen Regionen Deutschlands ein deutlich höheres Einkommen als der Bezug von Bürgergeld – auch wenn man nur den Mindestlohn erhält.

Ein Mythos wird entlarvt: Arbeiten lohnt sich mehr als Bürgergeld

Der Ruf des Bürgergeldes ist nach wie vor umstritten. Vielerorts wird unterstellt, dass sich für Bürgergeldbezieher das Arbeiten nicht mehr lohne, da Sozialleistungen zu einem nahezu identischen Lebensstandard führen. Doch eine neue Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans Böckler Stiftung widerlegt dieses Argument und zeigt auf, dass Vollzeitarbeit zum Mindestlohn in Deutschland eindeutig mehr finanziellen Spielraum bringt als der Bezug von Bürgergeld.

Die Berechnungen: Was verdient man tatsächlich?

Die Studie des WSI hat mehrere Modellrechnungen aufgestellt, um den Einkommensunterschied zwischen dem Bezug von Bürgergeld und einer Beschäftigung zum Mindestlohn zu messen. Dabei wurde sowohl der Mindestlohn von aktuell 12,82 Euro pro Stunde als auch die verschiedenen Sozialleistungen berücksichtigt, die ein Bürgergeldempfänger erhält. Es zeigt sich, dass für eine alleinstehende Person, die 38,19 Stunden pro Woche zum Mindestlohn arbeitet, ein deutlich höheres verfügbares Einkommen erzielt wird als mit Bürgergeld.

Alleinstehend vs. Bürgergeld: Ein klarer Unterschied

Eine alleinstehende Person, die Vollzeit arbeitet und den Mindestlohn verdient, kommt auf einen Bruttolohn von 2.121,58 Euro pro Monat. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben bleiben 1.546 Euro übrig. Mit zusätzlich 26 Euro Wohngeld ergibt sich ein verfügbares Einkommen von 1.572 Euro.

Im Vergleich dazu hat ein Bürgergeldempfänger mit der gleichen Miete nur einen Anspruch auf 563 Euro Grundsicherung plus 451,73 Euro für die Unterkunft. Dies ergibt insgesamt lediglich 1.015 Euro – ein Unterschied von 557 Euro im Monat.

Alleinerziehende profitieren deutlich

Bei einer alleinerziehenden Person mit einem fünfjährigen Kind und gleicher Arbeitszeit wird der Unterschied noch deutlicher: Hier liegt das verfügbare Einkommen bei einer Vollzeitbeschäftigung zum Mindestlohn bei 2.532 Euro, inklusive Kindergeld und weiterer Zuschüsse. Bei Bürgergeldbezug, den sogenannten Mehrbedarfen für Alleinerziehende und den Zuschlägen für Kinder, würde sie lediglich 1.783 Euro erhalten – ein Unterschied von 749 Euro.

Paarfamilien und der Lohnabstand

Auch bei Paarfamilien mit zwei Kindern ist der Vorteil des Mindestlohns deutlich. Ein Alleinverdiener, der mit dem Mindestlohn arbeitet, kommt hier auf ein verfügbares Einkommen von 3.414 Euro (inklusive Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld). Bei Bezug von Bürgergeld würde sich das Einkommen lediglich auf 2.754 Euro summieren.

Regionale Unterschiede: Hohe Mieten dämpfen den Vorteil

Die Studie zeigt auch, dass es regional Unterschiede gibt. Besonders in Gebieten mit hohen Mieten, wie etwa in München oder Hamburg, ist der Einkommensvorteil durch den Mindestlohn im Vergleich zum Bürgergeld geringer, da die Sozialleistungen in diesen Städten ebenfalls höher ausfallen, um die höheren Wohnkosten zu decken. So fällt der Unterschied im Landkreis München bei einer alleinstehenden Person mit etwa 379 Euro am kleinsten aus, in Nordhausen oder im Vogtlandkreis hingegen ist der Unterschied mit 652 bzw. 662 Euro deutlich größer.

Bilder: Agneta Becker

Ein gesellschaftlicher Mythos: Die Diskussion um faule Bürgergeldempfänger

Ein weiterer Aspekt der Untersuchung bezieht sich auf die oft polemisch geführte Debatte um Bürgergeldempfänger, denen vorgeworfen wird, sie wollten nicht arbeiten, weil das Leben mit Bürgergeld ausreichend sei. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, kritisiert diese Darstellung als „stigmatisierend“ und „sachlich falsch“. Die Studie belegt, dass es sich für Bürgergeldempfänger in keinem Fall finanziell lohnt, sich gegen eine Arbeit zu entscheiden, zumal der finanzielle Unterschied zum Mindestlohnjob klar zu ihren Ungunsten ausfällt.

Was ist nötig, um die Arbeitsanreize zu verbessern?

Die Debatte um Arbeitsanreize im Sozialstaat wird immer wieder aufgegriffen, besonders von Experten wie Andreas Peichl vom Ifo-Institut, der in einem Interview fehlende Anreize für besser bezahlte Arbeitsplätze kritisierte. Peichl wies darauf hin, dass es in bestimmten Fällen nicht lohne, die Arbeitszeit zu erhöhen, weil Sozialleistungen wie das Bürgergeld dann gekürzt werden. Diese Diskussion bezieht sich jedoch auf eine andere Frage: Wie verhält sich das Verhältnis von Einkommen und Sozialleistungen, wenn jemand von einem geringen Einkommen zu einem höheren wechselt?

Bürgergeld und Mindestlohn im Vergleich

Die Untersuchung des WSI zeigt, dass die Behauptung, Bürgergeldempfänger hätten keinen Anreiz zur Arbeit, schlichtweg nicht zutrifft. Wer zum Mindestlohn arbeitet, hat in allen Regionen Deutschlands ein höheres verfügbares Einkommen als jemand, der auf Sozialleistungen angewiesen ist. Das Beispiel verdeutlicht den erheblichen Lohnabstand und zeigt, dass ein höherer Anreiz für die Arbeit im Sozialstaat durchaus besteht, auch wenn der Mindestlohn nicht ausreicht, um ohne ergänzende Sozialleistungen zu leben.

Weitere Informationen zur Studie:
Die detaillierten regionalen Daten und Berechnungen der WSI-Studie sind auf der Website der Hans Böckler Stiftung veröffentlicht.