Arbeit und Soziales Rund um Münster

Ein neues Gewand für alte Sorgen

Die geplante Reform des Bürgergeldes

Von Christoph Theligmann

Es gibt Begriffe, die altern schneller als die Realität, die sie beschreiben. „Bürgergeld“ war einer davon. Kaum eingeführt, schon umstritten. Was im Jahr 2023 als sozialpolitischer Neuanfang gedacht war – als Abkehr von Stigmatisierung, als Hinwendung zu Vertrauen und Würde – hat sich binnen zwei Jahren zum Reizwort in Talkshows, Stammtischen und Behördenfluren entwickelt. Nun soll es reformiert, umbenannt, neu aufgesetzt werden. Eine große Geste. Vielleicht auch ein Eingeständnis.

Die Bundesregierung hat jedenfalls einen Plan. Nach der parlamentarischen Sommerpause will sie das Projekt „Bürgergeld 2.0“ auf den Weg bringen – samt neuer Gesetzesgrundlage, neuer Systematik und neuem Namen. Inkrafttreten: Anfang 2026. Zeit genug, um zwischen Idealismus und Etatdisziplin das rechte Maß zu finden. Oder es zumindest zu versuchen.

Der Wohnkosten-Tsunami – und seine Nebenwirkungen

Im Zentrum der Debatte: die Wohnkosten. Was früher als feste Größe im Sozialetat galt, hat sich mittlerweile zum budgetären Tsunami entwickelt. Die Mieten explodieren – nicht nur in Berlin, München oder Hamburg, sondern zunehmend auch in mittelgroßen Städten, so in Münster. Die Folge: Immer mehr Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger leben in Wohnungen, deren Mieten über den als „angemessen“ definierten Grenzen liegen. Die Jobcenter übernehmen die Kosten – zumindest eine Zeit lang. Und so schwillt der Anteil der Ausgaben für Unterkunft und Heizung inzwischen auf über ein Drittel der Gesamtleistungen an.

Diese Entwicklung trifft auf einen Wohnungsmarkt, der selbst unter Druck steht. Neubauten stocken, Investoren zögern, Bauland ist knapp. Und während die Sozialkassen die Mietspirale mitfinanzieren, wird das eigentliche Problem – das Fehlen bezahlbaren Wohnraums – nicht gelöst, sondern perpetuiert.

Ein nicht beim Namen genannt gewollter Behördenleiter brachte es kürzlich auf den Punkt: „Wir fördern nicht die Bedürftigen, wir fördern den Markt.“ Eine bittere Diagnose – und ein Grund, warum die Regierung nun gegensteuern will.

Während die Sozialkassen die Mietspirale mitfinanzieren, wird das eigentliche Problem – das Fehlen bezahlbaren Wohnraums – nicht gelöst
Foto: Agneta Becker

Von Würde zu Wirtschaftlichkeit: Das Pendel schwingt zurück

Als das Bürgergeld Hartz IV ablöste, war das eine politische Geste mit symbolischer Kraft. Weg von der Verwaltung des Mangels, hin zu einer Unterstützung auf Augenhöhe. Die Schonvermögen wurden erhöht, die Sanktionspraxis gelockert, das Vertrauen betont. Doch in der Praxis – so die Kritik – sei die neue Großzügigkeit zu einem Einfallstor für Leistungsverweigerung und Ineffizienz geworden. Insbesondere diese aus konservativ Richtung kommende Kritik will eine Rückkehr zu einer rigoroseren Linie: Wer nicht mitwirkt, wer Arbeitsangebote ausschlägt oder Qualifizierungen verweigert, soll künftig wieder empfindlicher sanktioniert werden können. Vom „solidarischen Bürgergeld“ ist dabei nur noch selten die Rede. Stattdessen macht sich eine neue Tonlage breit: verbindlicher, wirtschaftlicher, unmissverständlicher und unsozialer.

Namenspolitik – Symbolik mit Nebenwirkungen

In dieser Gemengelage erscheint die geplante Umbenennung des Bürgergeldes fast wie eine Notwendigkeit. Denn ein Name ist nie nur Etikett – er ist Programm, Deutung, Erwartung. Und „Bürgergeld“, so scheint es, hat die Erwartungen nicht erfüllt. Man habe den Menschen etwas versprochen, das die Realität nicht halten konnte: eine fürsorgliche, leistungsfreundliche, sozial gerechte Grundsicherung. Was kam, war Bürokratie in neuem Gewand – und ein nicht unerhebliches Preisschild, das Soziale überdeckend.

Nun wird nach einem neuen Begriff gesucht. Im politischen Kreisen kursieren Arbeitstitel: „Grundsicherung“ (Favorit), auch „Chancenhilfe“, „Teilhabestütze“. Namen, die betont nüchtern daherkommen, fast schon technokratisch. Vielleicht auch, weil man dem Vertrauen misstraut, das man einst beschwören wollte. Die Zeit des idealistischen Überschwangs scheint vorüber, des Vertrauens allemal.

Die Rückkehr der Pflicht – und das Ende der Schonzeit?

Zentrale Elemente der Reform betreffen die Mitwirkungspflichten. Während das Bürgergeld eine gewisse „Vertrauenszeit“ (!) vorsah, in der Leistungsempfängerinnen und -empfänger ohne unmittelbaren Druck ihre Lage verbessern sollten, will man künftig wieder „verbindlicher“, sprich mit Zwang agieren. Wer zumutbare Arbeit ablehnt, wer Termine schwänzt oder Weiterbildungsangebote ignoriert, soll mit empfindlicheren Kürzungen rechnen müssen. Der Begriff „Respekt“ taucht dabei erstaunlich häufig in Regierungsverlautbarungen auf – diesmal nicht als Schutzversprechen, sondern als Forderung. Eine Respektforderung in nur eine Richtung, einseitig.

Flankiert wird das Ganze durch Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsanreize. Es sollen bessere Zuverdienstmöglichkeiten geschaffen werden – insbesondere für Menschen, die Mini- oder Teilzeitjobs annehmen. Das Ziel: Die Schere zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit wieder zu öffnen. Arbeit soll sich wieder „lohnen“, wie es in der klassischen Sonntagsrede heißt – auch dann, wenn sie nicht existenzsichernd ist. Ein politisches Paradox, das nur in der Theorie elegant wirkt.

Verwaltung am Limit – Kommunen warnen

Für die Umsetzung all dieser Ideen sind – wie immer – die Kommunen zuständig. Und dort stößt man zunehmend an Grenzen. Der Mangel an Fachkräften in Jobcentern, die ausufernde Regelungstiefe, die unklare Datenlage – all das macht Reformen nicht nur schwer, sondern auch gefährlich. Denn was gut gemeint ist, kann in der Praxis leicht in Chaos oder Ungleichheit münden.

„Wir haben nicht zu wenig Regeln, wir haben zu viele, die niemand versteht“, sagt ein Sozialdezernent aus NRW. Man brauche ein System, das sowohl steuerbar als auch menschlich sei. Eine Forderung, die so alt ist wie die Sozialpolitik selbst – und doch nie an Aktualität verliert.

Sozialverbände warnen vor Rückschritt

Wie bei jeder Reform, so regt sich auch diesmal Widerstand – vor allem von Seiten der Wohlfahrtsverbände. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnt vor einem Rückfall in alte Muster. „Die Logik der Strafe führt nicht zur Integration“, mahnt Geschäftsführer Ulrich Schneider. Vielmehr brauche es Investitionen in Bildung, Beratung und psychologische Stabilisierung – besonders bei Langzeitarbeitslosen.

Auch die Caritas betont, dass viele Leistungsbeziehende nicht etwa „arbeitsunwillig“, sondern gesundheitlich oder sozial stark belastet seien. Ein zu rigides System könne diese Menschen nicht fördern, sondern nur verlieren. Und damit, so der Vorwurf, würde das Bürgergeld seine zentrale Daseinsberechtigung verfehlen.

Ein Rückblick – und ein offener Ausgang

So bleibt am Ende die Frage: Was genau soll die Reform erreichen? Ist sie ein Schritt zur Modernisierung – oder zur Disziplinierung? Will man fördern – oder ordnen? Vertrauen – oder kontrollieren? Die Antworten darauf werden maßgeblich darüber entscheiden, wie das System künftig wahrgenommen wird: als Hilfe – oder als Hemmnis.

Blickt man zurück auf die Geschichte der sozialen Sicherung in Deutschland, dann fällt auf: Die Systeme mögen sich wandeln, doch die Konfliktlinien bleiben erstaunlich konstant. Es geht um Leistung und Bedürftigkeit, um Würde und Kontrolle, um Hilfe und Pflicht. Schon Bismarck wusste: Sozialpolitik ist nie neutral – sie ist Ausdruck eines Menschenbildes.

Und so ist auch die anstehende Bürgergeld-Reform nicht einfach eine technische Korrektur. Sie ist ein Lackmustest für die politische Mitte: Wie viel soziale Verantwortung kann – und will – sich eine Gesellschaft leisten, wenn der finanzielle Druck steigt? Und was bleibt vom Begriff „Solidarität“, wenn man ihn in Zahlen pressen muss?

Noch ist unklar, welchen Namen das neue System tragen wird. Klar ist nur: Es wird ein Name mit Geschichte sein – ganz gleich, wie modern er klingt.