Kommentar Verschiedenes

Die Unbequemen

Zum Verhältnis Politik und Kirche unter Franziskus und ein Ausblick auf das Leo XIV. Pontifikat

Von Jan Rinke

Der neue Papst Leo XIV., wie wir alle, nimmt Abschied von einem Störenfried. Müsste man dem an Ostern verstorbenen Papst Franziskus einen ehrenden Beinamen geben, wäre wohl „Der Barmherzige“ zutreffend. Mit seiner Betonung der Barmherzigkeit als Hinwendung zu Menschen in konkreter Not setzte er oft politische Signale, die auch die Beinamen „Der Unbequeme“ oder gar „Der Störende“ rechtfertigen würden.

Papst Franziskus mit Bootsflüchtlingen, Lampedusa 8.7.2013 – Foto: ©VaticanMedia

Nach der Wahl von Papst Franziskus im Jahre 2013 pilgerte dieser nach Lampedusa, wo er das Ertrinken Flüchtender als „lautloses Massaker“ anklagte. Natürlich setzten zu seiner Beisetzung auch die von ihm Kritisierten und Ermahnten, all jene zu jenem Massaker Gemeinten, die Trauermine auf. In erster Reihe Donald Trump, dem dieser Papst ein Dorn im Auge gewesen sein muss, etwa als er auf seiner Mexiko-Reise eine Messe direkt am Grenzzaun zu den USA feierte und die Flüchtlingspolitik des Trump-Regimes scharf angriff. Das geschah zur ersten Amtszeit von Donald Trump.

Wirtschaft contra Barmherzigkeit

Immer wieder rückte Franziskus Notleidende in die Mitte der Aufmerksamkeit, auch mit seiner Warnung vor einer „Verbürgerlichung der Kirche“ folgend, wenn er Transsexuelle traf, deren Not Diskriminierung ist. Oder an den Gründonnerstagen, wenn er statt Klerikern weiblichen Häftlingen die Füße wusch, deren Not es ist, in Vergessenheit geraten zu sein, neben all dem anderen Leid. Sein Einsatz für Umwelt, den Klimaschutz sowie die Rechte Indigener waren nicht weniger politisch, ebenso wie seine Kritik an der unbegrenzten Marktwirtschaft mit der Aussage „Eine solche Wirtschaft tötet.“

„Diese Wirtschaft tötet“: Franziskus‘ Kritik an der ungerechten globalen Wirtschaftsordnung – Evangelii Gaudium (2013), 53–54

Reflexartig bezichtigten Wirtschaftswissenschaftler ihn der Ahnungslosigkeit; vermutlich, weil er einen Nerv traf. Bezeichnenderweise steht diese Wirtschaftskritik in seinem frühen Rundschreiben über die Verkündigung der Frohen Botschaft (Evangelii Gaudium – Die Freude des Evangeliums, aus dem Jahre 2013). Der argentinische Papst folgte damit dem Konzept der aus Lateinamerika stammenden Befreiungstheologie, die er nach den Maßregelungen im Doppelpontifikat Johannes Paul II./ Benedikt XVI. hin zu wiederbelebten Würdigungen rehabilitierte.

Dass Franziskus‘ Tod dessen politische Einmischung nochmals größte Öffentlichkeit verschaffte, wirkt wie eine Ohrfeige für immer häufigere Stimmen aus der Politik, allen voran von der regelmäßig von Bischöfen angegriffenen AfD, die Kirche möge sich bitte nicht in Sachpolitik einmischen und stattdessen die großen Fragen des Daseins (Woher kommen wir, wohin gehen wir?) als Kerngeschäft von Religion und Glauben behandeln. Alle solche Stimmen klammern aus, dass Zuwendung zu den Ärmsten und gerade auch Menschen auf der Flucht nicht vom Christentum zu trennen sind, wenn etwa Jesus von Nazareth sich selbst als Obdachloser bezeichnet (Mt 8,20) und sich mit Flüchtlingen identifiziert ( Mt 25,43). Im Kerngebet aller Christen steht die Bitte um das Existenzminimum („unser tägliches Brot“).

Franziskus im Frauengefängnis, Gründonnerstag 2024 – Foto: ©VaticanMedia

Leo – der Name ist Programm

Kurz ein Einblick in Umschweife ins lokale Münster: Wenn in diesem Jahr Noch-Oberbürgermeister Markus Lewe aus Protest gegen die Positionierung des ältesten Sozialverbands Deutschlands zur Asylpolitik der Union nach 40 Jahren Mitgliedschaft aus dem katholischen Kolpingwerk austrat, scheint der oberste Stadtrepräsentant Kerninhalte des Christentums zurückdrängen zu wollen, die immer unbequem sein werden, so wie Papst Franziskus unbequem war.

Leo XIV: Und wieder grüßt ein politischer Papst – Foto: ©VaticanMedia

Zum Schluss ein Ausblick: Der Name Leo ist Programm! Mit seiner Herkunft aus dem Ursprungsland der Befreiungstheologie (dort lebte Leo XIV länger als in den USA) könnte der Peruaner Leo XIV. dieser Spur folgen, zumal der Name Leo ein sehr politisches Pontifikat ankündigt, da Leo XIII., die sozialen Verwerfungen des 19. Jahrhunderts mit Förderung der katholischen Soziallehre anpackte – ein Vorbild, ein Wegweiser. Dabei kündete der Neue schon an, besonders auch Digitalisierung und KI in den Blick zu nehmen, die unser Leben sicher nicht weniger verändern werden als einst die Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Bereits vor seiner Wahl griff Leo XIV. Trump und Vance an. Ihn aber auf die Rolle des politischen Papstes zu reduzieren, greift zu kurz; vermutlich wird der neue Hirte geistliche und politische Impulse eng verknüpfen und damit die 1,4 Milliarden katholischen Schafe inspirieren, sie politisch zu bocken.