Arbeit und Soziales

Migration als Chance und Herausforderung

Fachkräftemangel in Deutschland

Von Regina Ioffe und Hans Römer Santaella

Der Fachkräftemangel in Deutschland wird zunehmend durch die Integration von Geflüchteten positiv beeinflusst. Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zeigen einerseits institutionelle Hürden und andererseits auch Potenziale, die sich für Migranten eröffnen. Besonders die aktuelle Situation ukrainischer Geflüchteter bietet wichtige Erkenntnisse für die Debatte um Migration und Arbeitsmarkt.

Ursachen des Fachkräftemangels und Bedeutung der Migration

Der Fachkräftemangel gehört zu den drängendsten Problemen der deutschen Wirtschaft. Demgegenüber bieten Migranten und insbesondere Geflüchtete eine wichtige potenzielle Ressource, um diesen Mangel abzumildern. Die Auswertung aktueller Studien, vor allem der Forschungsberichte des IAB (Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung) und des DeZIM (Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung), lässt dabei deutliche Unterschiede zwischen Migrantengruppen erkennen und macht institutionelle Hemmnisse sichtbar.

Bild: Agneta Becker

Sprache: Barriere oder Brücke?

Sprache gilt als eine der größten Herausforderungen für Arbeitsmarktintegration. Studien des IAB (2024) zeigen, dass geflüchtete Frauen durchschnittlich mehr Deutschkurse absolvieren und mehr Erfolge im Spracherwerb erzielen als Männer. Frauen, die Integrationskurse abgeschlossen haben, sind zudem häufiger erwerbstätig. Dennoch wird angezweifelt, ob Sprachzertifikate direkt zu besseren Arbeitsmarktchancen und höheren Verdiensten führen, was die Frage aufwirft, ob Sprachförderung als reine Integrationsmaßnahme ausreicht oder anders gestaltet werden muss.

Bleibeperspektive versus Arbeitsperspektive – eine bürokratische Spannung

Trotz vorhandener Qualifikationen aus dem Herkunftsland bleibt der berufliche Wiedereinstieg für viele Migranten schwierig. Folgt man den Studien, so erhöht beispielsweise ein ausländischer beruflicher Bildungsabschluss weder die Erwerbstätigkeit noch die Verdienste signifikant.
Dieses Missverhältnis führt zu der paradoxen Situation, dass Migranten für bürokratische Prozesse wie etwa die Begründung eines Asylantrags qualifiziert erscheinen müssen, während ihre beruflichen Potenziale weitgehend ungenutzt bleiben.

Ukrainische Geflüchtete im europäischen Vergleich

Eine der aktuell umfassendsten Untersuchungen betrifft die Integration ukrainischer Geflüchteter. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einer Beschäftigungsquote von 20 Prozent im vierten Quartal 2022 im Mittelfeld. Länder wie Großbritannien oder die Niederlande zeigen deutlich höhere Integrationsquoten. In Deutschland ist zudem der Geschlechterunterschied ausgeprägt: Nach 22 Monaten sind 33 Prozent der Männer erwerbstätig, aber nur 25 Prozent der Frauen.

Interessant ist, dass nur 7 Prozent der ukrainischen Geflüchteten ihre Arbeitsstelle über behördliche Vermittlung fanden. „Vitamin B“ in Form von Kontakten und Netzwerken, etwa durch Empfehlungen von Bekannten oder Verwandten, spielt mit 55 Prozent die wichtigste Rolle bei der Arbeitssuche. Dieses Phänomen erschwert Neuankömmlingen ohne Netzwerke den Zugang zum Arbeitsmarkt erheblich.

Die bürokratischen Hürden für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen sind hoch

Dequalifizierung und einfache Tätigkeiten

Die meisten ukrainischen Geflüchteten üben in Deutschland derzeit Tätigkeiten aus, die deutlich unter ihrem eigentlichen Qualifikationsniveau liegen. Im Jahr 2023 waren laut IAB 75 Prozent in einfachen Tätigkeiten beschäftigt, während der Anteil in der Gesamtbevölkerung nur 24 Prozent beträgt.
Hintergrund hierfür sind Sprachbarrieren, Anerkennungsprobleme und Misstrauen von Arbeitgebern. Die Bruttomonatsverdienste der Geflüchteten liegen mit 2.500 Euro deutlich unter dem deutschen Durchschnitt von 4.479 Euro. Eine beträchtliche Anzahl hat zudem nur befristete Arbeitsverträge, was zu einer prekären Arbeitsmarktposition führt.

Von nach Deutschland geflüchteten Ukrainer:innen im erwerbsfähigen Alter üben 50 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen eine Tätigkeit aus, die unter dem Niveau ihrer vorherigen Beschäftigung in der Ukraine liegt.
Geflüchtete Ukrainer:innen haben Sorgen um den Verlust der erworbenen beruflichen Qualifikationen wegen Arbeitslosigkeit oder einer Tätigkeit im Helferbereich. Je länger die Flucht dauert, desto mehr befürchten sie, was mit ihnen beruflich passiert nach einer eventuellen Rückkehr in die Ukraine: sie werden mit den Gebliebenen nicht mehr konkurrieren können.
Bei der Dequalifizierung von Geflüchteten ist es wichtig zu verstehen, ob es sich um eine nur vorübergehende oder um eine langfristige Entwertung des Humankapitals handelt.

Verbesserungsansätze und Empfehlungen

Prof. Dr. Yuliya Kosyakova vom IAB nennt empirisch bewährte Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration: Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Erwerb von Qualifikationen in Deutschland, ehrenamtliches Engagement sowie Willkommenskultur. Besonders wichtig ist die Förderung von Flexibilität bei Arbeitszeiten und Kinderbetreuungsangeboten, um vor allem geflüchteten Frauen mit Kindern bessere Chancen zu geben.

Fazit: Zwischen Chancen und Hindernissen

Die Studienlage macht deutlich, dass Migration eine Chance darstellt, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Gleichzeitig zeigten sie massive institutionelle, bürokratische und soziale Hürden auf, die die Arbeitsmarktintegration erschweren oder sogar verhindern können.

Es bedarf eines Umdenkens: Migranten müssen als kompetente Fachkräfte mit beruflicher Erfahrung wahrgenommen und eingebunden werden – jenseits der Sprachbarrieren und bürokratischen Vorbehalte. Nur so kann Deutschland die vielfältigen Potenziale von Migranten nutzen und den Fachkräftemangel wirksam bekämpfen.