aus dem Magazin

Vermieterin des Grauens

Wenn Wohnungen im Besitz der öffentlichen Hand privatisiert werden, haben Mieter*innen häufig genug das Nachsehen – wie zum Beispiel bei der LEG

Vor zehn Jahren hat das Land Nordrhein-Westfalen für rund 3,4 Milliarden Euro seine Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) an einen privaten Investor verkauft. Mieter*innen und Initiativen beklagen seither Abzocke und Stau bei Reparaturen und Instandhaltung.

Von Robert Martschinke

Ob Volkswagen, Telekom oder die Deutsche Post AG – wann immer ein bis dahin von Land oder Bund geführtes Unternehmen den Interessen der kapitalistischen Marktwirtschaft unterworfen wird, bleibt der ursprüngliche Hauptzweck als Erstes auf der Strecke: die Deckung der Bedürfnisse der betroffenen Menschen. Kund*innen des Wohnungsunternehmens LEG Immobilien AG mit der Zentrale in Düsseldorf bekommen dies auch in Münster zu spüren.

Privat vor Staat

1970 schlossen sich in Nordrhein-Westfalen zahlreiche kommunal betriebene, dem Allgemeinwohl verpflichtete Wohnungsgesellschaften zur Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen GmbH zusammen. Deren Kernaufgabe bestand darin, bezahlbaren Wohnraum für alle, die auf ihn angewiesen sind, bereitzustellen, und diesen zu hegen und zu pflegen. Der wirtschaftliche Gewinn war zweitrangig, es ging um die Vermeidung von Obdachlosigkeit zur Wahrung des sozialen Friedens.
2008 dann wurde die bis dahin vom Land sowie der NRW Bank betriebene gemeinnützige GmbH von der damaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) an Whitehall Real Estate, einen Investmentfond der US-amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, verkauft. Eine Volksinitiative gegen den Verkauf der damals 93.000 Bestandswohnungen scheiterte nur knapp. Seit 2013 ist die LEG als Aktiengesellschaft börsennotiert. Der „Wert“ des Unternehmens bemisst sich seither ausschließlich am Kurs, sprich Preis, der Besitzurkunde. Diesen Kurs wiederum dirigiert in erster Linie die Gewinnerwartung. Je mehr Umsatz die LEG macht, desto mehr Rendite für die Anteilseigner*innen springt dabei heraus. Diesem Primat ist alles untergeordnet. Stark vereinfacht gesagt: Bis 2008 hat die LEG praktisch als Hausmeister im Auftrag der Regierung agiert, die in erster Linie die Interessen ihrer potenziellen Wähler – also theoretisch aller – im Blick hatte; seit 2008 ist die LEG Unternehmerin auf dem freien Wohnungsmarkt, also schnöde Vermieterin, und als solche interessieren sie einzig die Mieteinnahmen – je höher, desto besser, bei im Gegenzug möglichst geringen Ausgaben.

It’s all about the money

Die praktischen Folgen dieser Änderung des Geschäftsmodells bekommen seit nunmehr zehn Jahren die Mieter*innen auch in Münster zu spüren. Ulla Fahle vom Mieter/innen-Schutzverein Münster bemängelte bereits 2014 gegenüber der Lokalzeitung Westfälische Nachrichten (WN) unverständlich formulierte Mietverträge und Nebenkostenabrechnungen, wobei Letztere häufig nicht nachvollziehbare Zahlungsforderungen im vierstelligen Eurobereich enthielten. Garagenmieten etwa würden doppelt erhoben. Neumieter*innen der LEG empfahl die Juristin Fahle bereits vor vier Jahren den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass dem Unternehmen offenbar häufig nur mit juristischen Mitteln beizukommen ist.
Im Gegenzug unternimmt dessen Geschäftsführung alles, um die eigenen Kosten gering zu halten. Gespart wird am Service, besonders am Personal, sowie an zu leistenden Reparaturen, der Instandhaltung und Sanierung der vermieteten Immobilien.
Die LEG Immobilien AG nannte laut Geschäftsbericht in 2016 rund 128.000 Mietwohnungen ihr Eigen, aktuell allein in Münster circa 6000 Wohnungen. Auch wer nicht selbst betroffen ist, wird jemanden im Bekanntenkreis finden, die oder der über einschlägige Erfahrungen mit dem Großvermieter berichten kann.
Ein Besucher des MALTA – Münsters Arbeitslosentreff in der Achtermannstraße – und Mietkunde der LEG, der hier ausdrücklich nicht namentlich genannt werden möchte, da er persönliche Nachteile für sich befürchtet (!), berichtet von einem Wasserrohrbruch im Keller „seines“ Hauses. Telefonisch war einzig die Konzernzentrale in Düsseldorf erreichbar, wo man sich jedoch für nicht zuständig erklärte. Bei einem persönlichen Vorsprechen in der LEG-Niederlassung an der Hammer Straße wurde er als „unangemeldeter Besucher“ des Gebäudes verwiesen. Handwerker, die im Auftrag des Wohnungsriesen vor Ort waren, verweigerten die Behebung des Rohrleitungsschadens. Schriftliche Aufforderungen durch den Deutschen Mieterbund an die LEG, ihrer Pflicht als Vermieterin nachzukommen, blieben unbeantwortet. Schließlich gaben die betroffenen Mieter*innen nach und bezahlten die Reparatur aus eigener Tasche.

Bizarre Blüten

Gibt man bei der Internetsuchmaschine Google „LEG NRW“ als Suchbegriff ein und überfliegt die Rezensionen der Nutzer*innen, drängt sich einem der Eindruck auf, dass dieses Verhalten offenbar Teil der „Unternehmenskultur“ ist: Berechtigte Forderungen der Vertragskunden*innen (die Mieter*innen de jure sind) werden ignoriert, bis diese auf die Forderung verzichten oder juristisch per Anwalt vorgehen. Wer Letzteres wagt, muss jedoch seinerseits damit rechnen, von der LEG mit hanebüchenen, zum Teil fingierten Forderungen und Klagen überzogen zu werden.
Die Gier nach höheren Einnahmen treibt dabei bisweilen bizarre Blüten. Anfang April 2018 erhielten Mieter*innen der LEG ein Schreiben mit dem Angebot, ab sofort freiwillig die Monatsmiete um zehn Euro aufzustocken. Im Gegenzug „garantiert“ das Unternehmen, in den nächsten zwei Jahren von sich aus keine Mieterhöhung vorzunehmen. Dies gelte jedoch ausdrücklich nicht, wenn Modernisierungen an Wohnung oder Gebäude vorgenommen würden. Den angeschriebenen Mieter*innen wurde eine Frist von 14 Tagen eingeräumt, das Angebot wahrzunehmen. Der Mieterschutzverein riet nicht nur wegen der Befristung, die einzig dem Zweck dienen mochte, die Adressaten unnötig unter Druck zu setzen, zu äußerster Vorsicht, auf das Angebot einzugehen. Der LEG sei nicht zu trauen, warnte noch einmal Ulla Fahle am 16. April in den WN: „Nach unserer Erfahrung führt die LEG sofort Mieterhöhungen durch, sobald die Voraussetzungen hierfür gegeben sind.“

Alternativlos

Sicherer, bezahlbarer Wohnraum ist eine Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Leben, so grundsätzlich wie Nahrung, Kleidung, körperliche Unversehrtheit. Durch den Verkauf der LEG hat die Landesregierung klargemacht, dass sie diese Grundvoraussetzung für ihre Bürger*innen nicht erfüllen will oder kann. Spätestens mit dem Gang an die Börse hat die LEG ihrerseits klargestellt, dass das Erzielen von Gewinn, die Maximierung der Rendite, von nun an ihr einziger Daseinszweck ist. In Münster ist Wohnraum generell und speziell bezahlbarer Wohnraum dermaßen knapp, dass selbst eine hemmungslose Ausbeuterin wie die LEG nicht über Leerstand klagen muss. Zumal konkurrierende Wohnungsgesellschaften wie die Deutsche Wohnen oder die Deutsche Annington auf vergleichbarem Niveau mit vergleichbaren Mitteln den eigenen Umsatz zu maximieren trachten.
Das Problem ist systemimmanent. Das Problem LEG resultiert aus dem Problem neoliberaler Privatisierung von staatlichen Aufgaben; dieses Problem ist typisch für viele westliche Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten und nicht das einzige, das der Kapitalismus hervorgebracht hat. Möglich wurde das, weil Staat und Politik entweder gar nicht oder falsch gehandelt haben, um Privatisierungen zu verhindern.
Solange sich daran nichts ändert, blicken Unternehmen wie die LEG AG und ihr US-amerikanischer Kapitalverwalter, der im Zuge der Finanzkrise 2008 noch mit Staatsgeldern „gerettet“ werden musste, in eine goldene Zukunft.