aus dem Magazin

Der Gemeinschaft durch Technik nützen

Wie Freifunker heute und morgen unsere Stadt bereichern wollen

Was ist Freifunk? Das Hauptanliegen der Initiative ist es, möglichst vielen Menschen im Münsterland gratis einen Zugang zum Internet zu verschaffen. Das klingt simpel. Was die Bastler vom Hawerkamp in Münster alles auf Grundlage des öffentlichen Netzes machen, ist allerdings ziemlich fantastisch: Vom WLAN im Flüchtlingsheim bis zum Sensor im Kanal, der die Wassertemperatur an eine Webseite funkt, kommen sie auf teils gewitzte Ideen, deren Umsetzung immer einen Nutzen für die Allgemeinheit haben.

Von Darta Sils – Fotos: Freifunk

Freifunk funktioniert, aus technischer Sicht, so: Ist man in der Nähe eines Freifunk-Hotspots, schaltet man den WLAN-Empfang seines Smartphones oder Tablets an und klinkt sich kostenlos ein ins Netz, ohne sich registrieren zu müssen. Dann kann man vollkommen anonym und so lange surfen, wie man möchte.
Möchte man selber mitmachen, indem man Teil des von anderen nutzbaren Netzes wird, ist das auch nicht viel schwieriger. Man kauft sich für etwa 20 Euro einen Router, installiert die nötige Software und stellt ihn zusätzlich zum eigenen Router zu Hause auf. Man entscheidet selbst, wie viel seiner verfügbaren Bandbreite man mit anderen Bürgern teilen möchte. Man braucht keine Angst davor zu haben, eine Abmahnung zu bekommen, denn durch einen Tunnel werden alle Daten separat vom hauseigenen Netz an das Freifunknetz weitergeleitet. Die sogenannte Störerhaftung wird so umgangen, weil der Verein, anders als kommerzielle Anbieter, nicht verpflichtet ist, Daten seiner Nutzer zu speichern, und dies auch explizit nicht möchte. Die Router, auch Knotenpunkte genannt, verbinden sich selbstständig zu einem Netz und bilden so eine möglichst flächendeckende WLAN-Abdeckung. Je mehr Nutzer mitmachen, desto schneller wird die Datenübertragung. Auch Geschäfte oder Cafés können Freifunk nutzen, müssen dann jedoch meistens eine kostenpflichtige Fördermitgliedschaft im Verein abschließen.
Im Juni 2017 hat der Gesetzgeber im Übrigen ein Gesetz verabschiedet, um den Betrieb von offenen WLAN-Netzen in Deutschland zu fördern. Das Problem mit der Störerhaftung ist damit Vergangenheit. Wer anderen einen Internetzugang anbietet, soll nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr dafür haften müssen, wenn Nutzer darin gegen das Recht verstoßen, etwa indem sie illegal Filme oder Musik herunterladen. Für die Anbieter von WLAN-Hotspots besteht ebenfalls keine Verpflichtung mehr, diese zu verschlüsseln.

Prinzipien der Freifunk-Bewegung

Das Ziel der Freifunker ist, ein dezentral organisiertes, autonomes Netz für alle zu schaffen. Dazu Ingomar Otter, seit 2014 Mitglied der Münsteraner Bewegung: „Es geht nicht nur darum, Hotspots zu bauen, sondern es gibt so einen ideologischen Überbau. Es gibt ein paar Ideen, die da mitschwingen.“ Die Organisation des Netzes soll Vielfalt und Unabhängigkeit sichern, die Freiheit von Machtstrukturen erlauben, sowie keine Kommerzialisierung aufkommen lassen.
Wenn beispielsweise ein Entwickler an einer neuen App arbeitet, die viel Bandbreite erfordert, wird die Geschwindigkeit beim Freifunk nicht wie bei manch kommerziellem Anbieter gedrosselt, um der Schaffenskraft freien Lauf zu lassen. Mittlerweile gibt es über 3000 Freifunk-Router im Münsterland. Diese sind auf einer online abrufbaren Karte verzeichnet. Otter betont den Mitmach-Charakter der Bewegung: „Nicht ‚wir’ stellen Router auf, sondern das haben alles Leute getan, die das für eine gute Idee halten. Wir haben davon über hundert Knotenpunkte aufgestellt.“

Menschen verbinden – Freifunk in Flüchtlingsheimen

Als besonders lohnenswert erlebten Otter und einer seiner Mitstreiter das Installieren von WLAN in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Letzterer hat eine etwas pragmatischere Sicht als Otter auf den ideologischen Überbau: „Das ist das Schöne an Freifunk – man hat wirklich ganz konkrete Motivation. Man kennt es beispielsweise von sich selber, wenn Familienangehörige auf weite Distanz sind, dann möchte man mit denen kommunizieren. Ich kann dieses konkrete Bedürfnis verstehen und helfe dabei, diesem nachzukommen.“ Es passt zur Grundidee des freien Netzes für jedermann, dass Freifunk gerade in Flüchtlingsheimen, wo die Menschen nicht viel Geld haben, sich allerdings mit Familienmitgliedern in fernen Ländern austauschen möchten, kostenloses WLAN eingerichtet hat.

Rasantes Wachstum in Rorup

Eine Leistung auf technologischer Ebene war die Einführung des Freifunknetzes im, wie Otter es liebevoll nennt, „Internetdorf“ Rorup in der Nähe von Dülmen im Kreis Coesfeld. Die Bürger und Geschäftsleute vor Ort waren zwar begeistert von der Idee, konnten aber den technischen Teil nicht stemmen. Also stellte Freifunk die Infrastruktur zur Verfügung und mietete etwa Server an. Dabei traten anfangs Schwierigkeiten auf: „Die kleine Community in Münster ist explosionsartig gewachsen, sodass wir auf einmal bei 1500 Routern waren. Das hat uns richtig viel Ärger gemacht, weil es nicht mehr richtig funktioniert hat. Dann haben sich ein paar Leute hingesetzt und sich die Nächte um die Ohren geschlagen. Sie kamen letztlich zu dem Schluss: ,Okay, wir müssen das System soweit automatisieren, dass es per Knopfdruck geht“, so Otter. Es ist eben die besondere Mischung aus technischem Wissen und gesellschaftlichem Engagement, welche die Freifunk-Community ausmacht.

Freifunk vor dem Dom

Ein weiterer Meilenstein für die Etablierung in Münster war im August 2016 die Einrichtung von WLAN an einem Wahrzeichen der Stadt – dem Domplatz. Dafür stiegen die Freifunker aufs Dach der Bezirksregierung und installierten Sendemasten, die auch draußen über große Entfernungen hinweg ein stabiles WLAN-Signal übertragen können, das jedem frei zugänglich ist. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen bezuschusste das Projekt mit 2500 Euro für die technische Ausrüstung. „Wir haben uns lange an der Stadtverwaltung die Zähne ausgebissen. Die war nett zu uns, aber wir sind halt immer vor eine Wand gelaufen. Die Gewährung der Landesmittel wird uns jetzt helfen, mit der Stadt neue Standorte zu erschließen“, sagt Otter. Die Erschließung neuer Standorte sei wichtig, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Informationen und den Austausch durch das Internet zu ermöglichen, aber auch ein schnelleres Netz zu installieren.

Rege Zusammenarbeit mit anderen Städten

Die Münsteraner Freifunker schauen auch über den Tellerrand hinaus, wenn es um die Kooperation mit anderen Communities geht. Vier bis fünf Mal im Jahr treffen sich die Freifunker bei regionalen Zusammenkünften, wo sie sich austauschen und voneinander lernen. Otter erklärt die Methode der Internetexperten, die der Devise „Versuch macht klug“ folgt: „Es gibt halt nicht ,den’ Freifunk, sondern jeder macht es auch technisch anders. Das ist sehr interessant, denn so passiert halt auch Zukunft. Es gibt Leute, die machen irgendwo Experimente, von denen wir ganz viel lernen. Wenn wir zum Beispiel anfangen, Funkverbindungen über die Dächer zu machen, dann wissen wir nicht, wie das geht. Aber in Berlin machen die das seit acht Jahren, die haben auch mal Fördergeld bekommen. Dann gehen wir halt dahin und sagen, wie geht denn das?“ Otter betont immer wieder die große Vielfalt unter den Freifunkern. „Alle, die mitmachen, sehen und schätzen etwas anderes im Freifunk – mancher betrachtet sich als gesellschaftlicher Aktivist, ein zweiter vielleicht eher als Bastler oder Hacker und ein dritter als Lokalpatriot, der Freude an konkreten Projekten vor Ort hat.“

Voneinander lernen: die neue „LoRaWAN“ Funktechnologie

Aus Amsterdam stammt die Idee vom Internet of Things (Internet der Dinge), demzufolge grundsätzlich nicht Menschen mit einem technischen Gerät kommunizieren, sondern Geräte untereinander Daten austauschen. Beispielsweise sendet ein Fitnessarmband Daten über die täglich gelaufenen Schritte an eine Internetseite, oder man steuert mithilfe des Smartphones vom Büro aus die Heizung zu Hause.
Um Anwendungen des Internets der Dinge über größere Entfernungen im Freien zu ermöglichen, bietet sich die neue LoRaWAN-Funktechnik (englisch für Long Range Wide Area Network – Netzwerk für weite Entfernungen) an, welche die Niederländer ersonnen haben. Hierbei werden spezielle Antennen aufgebaut, die es ermöglichen, dass Geräte mit sehr wenig Energieverbrauch kleine Datenmengen über große Flächen miteinander austauschen können. Die durch LoRaWAN ermöglichten Anwendungen sind allerdings keine rein technischen Spielereien, sondern haben zum Teil auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Beispielsweise habe es einen Winzer gegeben, der mit Sensoren das Wasservorkommen an seinem Weinberg maß und so den Wasserverbrauch beim Gießen um 30 Prozent senken konnte. Der Schlüssel zu derartigen neuen Anwendungen sei der geringe Energieverbrauch, erklärt Otter: „Wenn man zum Beispiel zweimal am Tag messen will, macht man eine Batterie rein und dann läuft das Ding vier Jahre lang. In der Landwirtschaft wird ganz viel passieren.“ Die Senkung des Wasserverbrauchs spare Kosten und entlaste die Umwelt, die Technologie habe also Vorbildfunktion für andere landwirtschaftliche Betriebe.

Münsteraner Anwendungen im FreifunkLP-Netz

Auch die Münsteraner arbeiten nun am Aufbau eines alternativen LoRaWAN Netzes, das sie FreifunkLP nennen. Im öffentlichen Raum können so Anwendungen entstehen, die ohne Steckdose und lediglich mit einer kleinen Batterie oder Solarzelle auskommen. „Es gibt da bizarre Ideen und viele passieren in Ecken, wo man nicht damit gerechnet hat. Wir erschließen die Stadt als Spielwiese für Leute, die damit etwas ausprobieren“, so Otter.
Ein nicht ganz so ernsthaftes Beispiel, wo die neue Technologie zum Einsatz kommt, ist die Webseite wiekaltistderkanal.de. Die Freifunker haben einen Sensor im Dortmund-Ems-Kanal versenkt, der die Wassertemperatur misst und anhand eines Graphen auf einer Webseite anzeigt. Badewillige können so im Sommer prüfen, ob ihnen das Wasser auch warm genug ist. Sogar einen eigenen Twitter-Account @DortmundEms hat der Kanal mit Einträgen, wie: „Samstag. 15 Uhr. Der Kanal meldet 20.8 °C. Die Frisur sitzt“.
Eine weitere mögliche Anwendung des Internets der Dinge ist die Ausstattung des Fahrrads mit Sensoren, die den Verschleiß des Materials messen. So kann einen das „intelligente Fahrrad“ warnen, bevor es in die Werkstatt muss und nicht erst wenn ein Loch im Reifen ist, was in der Fahrradstadt Münster von Interesse sein dürfte. Die Stadt Münster sei zudem dabei, zu messen, erklärt Otter, wann „rush hour“ auf der Promenade herrsche, zu welchen Zeiten also die meisten Fahrräder unterwegs seien. Dazu soll es einen offiziellen Bericht geben, allerdings würden die Freifunker lieber in Echtzeit Daten über die Fahrraddichte auf der grünen Verkehrsader von Münster senden.
Denkbar seien ebenfalls automatisierte Messungen der Wasserstände in den Rieselfeldern, damit diese nicht von Hand gemessen und entsprechend reguliert werden müssen, wie es heutzutage der Fall ist. Zudem könnte die Messung von Wiesenflutpegeln als Warnsystem bei Starkregen dienen, der, wie wir im Juli 2014 gelernt haben, verheerende Auswirkungen haben kann. Dazu Otter: „Das sind nicht direkt Sachen, wo ich sage, das rettet die Welt. Aber ich glaube halt an die kreative Kraft von ein paar Verrückten, die einfach tolle Ideen haben und denen wir das ermöglichen wollen.“

Wer mitmachen möchte:
Treffen mittwochs um 19 Uhr in der „Warpzone“

Freifunk Münsterland
Am Hawerkamp 31, Haus G
48155 Münster
https://freifunk-muensterland.de/