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Wie Münsters Wohnungsmarkt- Krise die Situation der Mieter verändert

„Die Lage ist extrem und muss sich dringend ändern“

Der Wohnungsmarkt in Münster ist eine Katastrophe. Seit vielen Jahren wird zu wenig gebaut. Im oberen Marktsegment eher nicht, jedenfalls aber für Lieschen Müller und Deniz Normalverbraucher. Wer eine bezahlbare Wohnung sucht, spürt den Mangel deutlich. Der Druck trifft auch diejenigen, die eine Wohnung haben. Wie sich das bemerkbar macht, dazu äußert sich Ulla Fahle vom Mieter/innen-Schutz-Verein Münster gegenüber der Sperre.

Interview von Arnold Voskamp

Frau Fahle, der Wohnungsmarkt in Münster wird eng und enger. Wer sucht, findet kaum eine freie Wohnung, und es wird nicht besser. Wie macht sich das in Ihrer Beratung bemerkbar?

Ja, das merkt man seit Jahren und es wird zunehmend bedrohlich. Menschen finden keine Wohnung, sie können nicht umziehen, beispielsweise nicht aus einer zu groß gewordenen Wohnung in eine kleinere, da die kleinere Wohnung nicht da ist oder teurer ist als die jetzige. Getrennt lebende Paare können mangels Wohnalternative nicht auseinanderziehen, erwachsene Kinder bleiben zu Hause wohnen. Die Lage ist extrem und muss sich ganz dringend ändern. Das sehen in dieser Stadt mittlerweile wohl alle so, die in irgendeiner Form mit dem Thema Wohnen zu tun haben.

Wie wirkt sich die Marktlage auf die Miethöhe aus?

Der Markt reagiert auf die Verknappung. Die Mieten steigen weiter, von Jahr zu Jahr und bei Neuvermietungen noch schneller als bei bestehenden Mietverhältnissen. Es gibt zwar einige gesetzliche Vorgaben, die ein Ausufern der verlangten Miete für Wohnraum vermeiden sollen – Regelungen zur Durchführung von Mieterhöhungen, Kappungsgrenzen, Mietpreisbremse, aber auch viele Möglichkeiten, diese Vorgaben zu umgehen. Da am meisten bei Neuvermietungen herauszuholen ist, wird mit zum Teil rüden Methoden versucht, Mieter zum Auszug aus ihrer Wohnung zu bewegen.

Das heißt, das Klima in den laufenden Mietverhältnissen hat sich geändert?

Ja. Mieter haben zunehmend Angst vor Wohnungsverlust, auch dann, wenn eine solche Sorge objektiv betrachtet nicht gerechtfertigt ist. Ein Beispiel: Ein größeres Objekt in der Julius-Leber-Straße, ursprünglich mit öffentlichen Mitteln gebaut, wurde nach Ablauf der Sozialbindung von dem Eigentümer an ein Immobilienunternehmen verkauft, in Eigentumswohnungen umgewandelt, die dann einzeln weiterverkauft wurden. Einige Mieterinnen und Mieter leben schon sehr lange in dem Objekt und erleben auf einmal, dass sie nicht mehr als Mieter erwünscht sind.

Welche Erfahrungen machen sie dabei?

Man wird mit neuen Mietverträgen zu neuen Konditionen belästigt, erhält falsche
Betriebskostenabrechnungen, unwirksame Mieterhöhungen – und dann, wenn man all dem nicht nachkommt, unverblümt die Aufforderung endlich auszuziehen, da man ja problemlos neue Mieter bekäme, die bereit wären eine viel höhere Miete zu zahlen. Ein Kündigungsrecht haben die neuen Eigentümer nicht. Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs kann frühestens nach acht Jahren ausgesprochen werden. Insbesondere alte Mieter bedroht diese Situation dennoch sehr. Leider erleben wir zunehmend, dass man dem Druck nachgibt und sich auf unberechtigte Mieterhöhungen einlässt, oder auch neue Verträge unterschreibt, nur um in Ruhe gelassen zu werden.

„Es geht nicht nur um ein Dach über dem Kopf, es geht um mehr“

Die großen öffentlichen Wohnungsgesellschaften hatten früher, bis sie vielfach privatisiert wurden, eine wichtige Aufgabe, nämlich die Wohnsituation für Mieter erträglich zu halten. Wie sieht es denn bei denen aus?

Bei großen Wohnungsunternehmen ist immer der Profit entscheidend. Das Wohl der Mieterinnen und Mieter ist uninteressant, es sei denn, Zufriedenheit rechnet sich. Interesse am Stadtteil, an der Stadt Münster kann ich nicht mehr erkennen. Auch die Kommunikation zwischen diesen Vermietern und ihren Mietern hat sich in jüngster Zeit völlig verändert. Die Mieter haben keine realen Ansprechpartner mehr. Es gibt bei einigen Wohnungsunternehmen vor Ort nur noch verschlossene Türen, keine Öffnungszeiten, keine Sprechstunden. Mieter müssen sich entweder über eine Service-Hotline oder per E-mail an diese Unternehmen wenden.

Also Dienstleistungswüste?

Ja. Für ganz viele Mieter ein Unding. Manche haben keine Übung und auch keine Erfahrung für den Umgang mit Mails oder Hotlines, oder schlicht und einfach nicht die dazu erforderlichen Möglichkeiten. Manche benötigen den persönlichen Kontakt, um ihr Anliegen zu besprechen. Die Schwelle für ein Gespräch mit dem Vermieter ist sehr hoch geworden. Viele geben nach langen Wartezeiten in der Warteschleife auf oder machen wiederholt die Erfahrung, dass die zugesagten Rückrufe nicht erfolgen. Diese Unternehmen sind an Kritik nicht interessiert, so bislang unsere Erfahrung. Wir sind viel besser erreichbar als früher, heißt es nach außen, aber hinter vorgehaltener Hand, wie schön es ist, endlich ungestört arbeiten zu können. Dienstleistung ist auf dem aktuellen Wohnungsmarkt kein Thema. Man muss sich ja nicht um Mieter bemühen.

Und wie sieht das bei der Wohn- und Stadtbau, der Wohnungsgesellschaft der Stadt Münster, aus?

Bei der Wohn- und Stadtbau ist das keineswegs anders. Zunehmend machen wir und andere Mietervertreter zudem die Erfahrung, dass man sich nicht einmal mehr um eine sachlich angemessene Kommunikation bemüht.

Hört sich so an, als würde Wohnen zu einem anonymen Markt.

Wohnen ist existentiell. Es geht aber nicht nur um ein Dach über dem Kopf, es geht um mehr. Menschen wohnen zusammen in einem Haus, in einem Stadtteil, in einer Stadt. Ich bin keine Soziologin, aber ich glaube, es kann nicht gut sein, wenn bereits in dem kleinen Teilbereich Wohnen schon verhindert wird, dass man miteinander spricht, in Kontakt bleibt. Es fehlt zunehmend an Wertschätzung, an Aufmerksamkeit. Dieses Desinteresse bleibt vermutlich nicht folgenlos, verstärkt vielleicht auch die Anonymität, mit Folgen für das Miteinander.

Ein großes Thema, wir werden dranbleiben. Ich danke Ihnen für das Interview.

Arnold Voskamp
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